Der dritte Lateinamerika-Karibik-Gipfel in Costa Rica festigt die Gemeinschaft der "anderen Amerikaner".
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Am 28. Januar 2015 trafen die Staats- und Regierungschefs der Karibik und Südamerikas in Costa Rica zusammen, um sich beim dritten Gipfel der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños, CELAC) für die Bekämpfung der Armut und eine stärkere Förderung sozialer Integration auszusprechen. Ein Aktionsplan zur Armuts- und Hungerbekämpfung in den Regionen wurde vorgestellt.
Besondere Aufmerksamkeit des Gipfels galt Kuba und seinem Verhältnis zu den USA. Kubas Präsident Raúl Castro wurde von den Staats- und Regierungschefs der CELAC-Länder der Rücken für weitere Verhandlungen gestärkt. Die vier wichtigsten Ergebnisse des Gipfels waren:
1. Die CELAC-Staaten verpflichteten sich, den Hunger in den betroffenen Regionen bis 2025 zu beseitigen. In der aus über 550 Millionen Menschen bestehenden Karibik-Lateinamerika-Gemeinschaft leben heute rund 68 Millionen Menschen in Armut. Der Grund dafür ist nicht ein Mangel an Ressourcen, sondern deren ungerechte Verteilung, wie die Gemeinschaft erklärte. Damit griff der Gipfel ein Thema auf, das nach Ansicht vieler Analytiker das große Jahrhundertthema sein wird.
2. Die Karibik und Lateinamerika forderten ein Ende externer "Einmischung" in die Angelegenheiten der CELAC-Länder. CELAC wurde als Gegenpol zu US-dominierten Organisationen wie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegründet und wies die gegen Venezuela als Folge gewaltsamer Niederschlagung von Protesten am 18. Dezember beschlossenen US-Sanktionen zurück. Diese erlauben es US-Präsident Obama, Visas zu verweigern und die Konten von Vertretern Venezuelas einzufrieren, die in die Niederschlagung der Anti-Regierungsproteste verwickelt waren. Dies sei eine Verletzung des Völkerrechts und eine Gefahr für den Frieden in der Region, wie es in der Erklärung heißt, die auf Antrag von Venezuelas linksautoritärem Präsidenten Maduro verabschiedet wurde.
3. Die Staats- und Regierungschefs sprachen sich für eine Aufnahme Puerto Ricos auf dem kommenden CELAC-Gipfel aus. In einer provokativen Geste, die die Staatsmedien der teilnehmenden Staaten als Zeichen wachsenden Selbstbewußtseins des Südens deuteten, forderte die Staatengemeinschaft die "vollständige Unabhängigkeit" der früheren US-Kolonie Puerto Rico, die seit 1952 formal den Status eines "assoziierten Staates" hat.
4. CELAC forderte US-Präsident Barack Obama auf, alle US-Sanktionen gegen Kuba vollständig und sofort aufzuheben. Kubas Präsident Raúl Castro, der besondere Aufmerksamkeit der internationalen Medien genoss, bekräftigte auf dem Gipfel den Wunsch Havannas nach einer Normalisierung der Beziehungen zu Washington, wies aber darauf hin, dass die nach wie vor bestehenden Sanktionen seinem Land nicht nur humanitären und wirtschaftlichen Schaden zufügten, sondern auch gegen internationales Recht verstiessen. Für wirkliche und rasche Fortschritte der diplomatischen Beziehungen zu den USA sei eine vollständige Aufhebung jedweder Sanktion Bedingung, so Castro. Die Frage bleibt allerdings, ob es klug von Castro war, während des von den USA ausgehenden Tauwetters Bedingungen zu stellen.
Insgesamt bedeutet die Festigung der CELAC-Allianz, die auf dem Gipfel erkennbar war, ein Erstarken des lateinamerikanisch-karibischen Raums – mittlerweile auch rhetorisch und mittels fordernden Gesten. Damit geht die Entwicklung eines dem Anspruch nach zunehmend eigenständigen Wirtschaftsgebiets einher, was die Ausdifferenzierung des geopolitischen Machtgefüges gegenüber den USA, der Europäischen Union, China, den anderen BRICS-Schwellenstaaten wie Russland und den "Next-Eleven"-Staaten mit erhöhtem wirtschaftlichem und demographischem Potential wie Mexiko oder Südkorea vorantreibt. Die CELAC-Allianz bezieht ihre Gemeinsamkeiten bislang vor allem aus kulturellen Charakteristika wie Sprache, Kultur und Geschichte. Sie kann sich ihrem Potential nach aber durchaus zur fünften Wirtschaftsmacht gegenüber den sich nach jahrelangen Kriegen und Krisen erholenden, aber in innerer Polarisierung begriffenen USA, einem von ökonomischem, demographischem wie machtpolitischem Aufschwung nicht nur beflügelten, sondern geradezu berauschten China, den in sozialen, ethnischen und politischen Krisen steckenden BRICS-Staaten und der auf Ausgleich und Diplomatie setzenden, aber nach wie vor wegen innereuropäischer Krisen von außenpolitischer Inkohärenz durchzogenen Europäischen Union entwickeln.
Der CELAC-Gipfel vom Januar 2015 kann in dieser Perspektive als Baustein wachsender Multipolarität betrachtet werden – auch wenn die Hoffnung seiner Teilnehmer auf wachsende Bedeutung und Beachtung nicht so schnell eintreten wird, wie erhofft. Während eine rasche Verringerung der US-amerikanischen Einflussnahme wegen jahrzehntelang gewachsener Vernetzungen im südamerikanischen und karibischen Raum unwahrscheinlich bleibt, ist eine weitere Annäherung des karibisch-lateinamerikanischen Raums zum großen nördlichen Partner und dessen Verbündeten konkret möglich. Dazu trägt die Sorge Barack Obamas bei, sein Bild in der Geschichte abzusichern, wozu er die Chancen der Demokratischen Partei auf den Sieg bei den kommenden Präsidentschaftswahlen 2016 erhöhen muss. Das tut er unter anderem mittels des Schutzes illegaler Einwanderer aus dem Süden sowie der Normalisierung der Beziehungen zu Kuba, was beides auf die Stimmen der "Latino"-Einwanderer zielt, die, obwohl arm und der Sprache oft kaum mächtig, paradoxerweise, weil mehrheitlich streng religiös, die Republikaner wählen. Diese Konstellation fördert ein weiteres Tauwetter vonseiten der USA bis zu den US-Präsidentschaftswahlen 2016.
Auf der anderen Seite müssen auch die CELAC-Länder trotz historisch bedingter Aversionen, linksradikaler und autoritärer Regierungen und weiterbestehenden inneren Problemen in der aktuellen Entwicklungsphase alles Interesse an einem Ausgleich mit den USA und ihren Verbündeten haben. Dazu trägt der niedrige Ölpreis, der gerade den anti-amerikanischsten CELAC-Mitgliedern wie Venezuela oder Bolivien schwer zu schaffen macht, und der Verfall der Zustimmungswerte von Regierungen wie der von Maduro bei, die vor dem Gipfel bei 22% lagen. Zu erwarten ist, dass CELAC - unabhängig von einzelnen Konfrontationsrhetoriken und bilateralen Härtefällen - in den kommenden Jahren eine vorsichtige und moderate Politik gegenüber den USA fahren wird, und bei Betonung von Eigenständigkeit auf Annäherung und – gerechte – Kooperation hinzielen wird.
Die Gesamtkonstellation für eine Verbesserung der inneramerikanischen Lage zwischen Süd und Nord ist also vergleichsweise günstiger als in vergangenen Jahren. Und Europa?
Auch wenn beispielsweise beim gemeinsamen EU-CELAC Gipfel 2013 in Santiago de Chile die europäisch-lateinamerikanisch-karibische Partnerschaft als zukunftsweisend für das 21. Jahrhundert bezeichnet wurde, war der diesjährige CELAC-Gipfel in der europäischen Medienlandschaft unterrepräsentiert und wurde - im Unterschied zu EU-Gipfeln in Lateinamerikas Medien - kaum wahrgenommen. Zu sehr scheint die EU mit innereuropäischen Spannungen konfrontiert, die sich gegenwärtig etwa in den prekären Beziehungen zwischen der EU und der erstarkten griechischen Linken zeigt. Außenpolitisch ist die EU mit der Herausforderung konfrontiert, sich auf eine kohärente Linie einzustimmen und diese in ihren Außenbeziehungen auch konsequent zu vertreten. Das gilt auch für die voraussichtlich wachsend wichtige Beziehung zur CELAC, die auch das US-EU-Verhältnis betrifft und einbeziehen muss, was die Dinge nicht leichter macht. Doch solange die EU vorrangig mit sich selbst – mit ihren inneren politischen Spannungen einerseits, und ihrer mühsamen aussenpolitischen Positionsfindung andererseits – beschäftigt ist, werden in der europäischen Tagespolitik bilaterale Beziehungen – so auch zum CELAC-Raum – nur zweitrangige Beachtung finden.
CELAC ist ein Zusammenschluss der 33 lateinamerikanischen und karibischen Staaten und repräsentiert rund 550 Millionen Menschen. Sie wurde 2010 auf dem Gipfeltreffen der Rio-Gruppe in Mexiko nach dem Vorbild der Europäischen Union gegründet und mit der Unterzeichnung der "Erklärung von Caracas" am 3. Dezember 2011 in Venezuela gestartet. CELAC wurde mit dem Ziel gegründet, die lateinamerikanische Integration zu stärken und dem Einfluss des Nordens auf die Politik und Wirtschaft des Südens stärkere Autonomie und wachsendes Selbstbewußtsein entgegenzuhalten. CELAC wurde als Alternative zu anderen, von den USA dominierten politischen Bündnissen etabliert, wie beispielsweise zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und zum Amerikagipfel (SOA), welche bislang Kuba ausschlossen. Die CELAC-Gemeinschaft organisierte bereits zwei Gipfel. Der erste fand im Januar 2013 in Santiago de Chile, der zweite im Januar 2014 in Havanna statt. Der diesjährige Gipfel wurde vom 28. bis 29. Januar in San José, Costa Rica, durchgeführt.
Roland Benedikter forscht am Orfalea Zentrum für globale und internationale Studien der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, ist Mitautor zweier White papers für das Pentagon und den U.S.-Generalstab, Senior Scholar des Council on Hemispheric Affairs Washington DC (führender liberaler Think-tank zu Lateinamerika in den USA) und Vollmitglied des Club of Rome.
Georg W. Göschl ist Kultur- und Sozialwissenschafter mit Europaschwerpunkt in Wien, Berlin und Brüssel.