Nach Ausschreitungen zwischen pro-palästinensischen Demonstranten und der Polizei und Angriffen auf Synagogen warnen | Vertreter der Juden vor zunehmenden Feindseligkeiten: Der Nahost-Konflikt diene nur als Vorwand.
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Paris. Brennende Autos, Angriffe auf Synagogen und Zusammenstöße zwischen gewaltbereiten Demonstranten und der Polizei: Nachdem der Nahost-Konflikt ein gewaltsames Echo in Frankreich gefunden hat, gibt die Regierung eine harte Linie gegen die Täter aus. "Wer eine Synagoge angreift oder einen Lebensmittelladen anzündet, weil er einem Juden gehört, begeht einen antisemitischen Akt", sagte Innenminister Bernard Cazeneuve im Pariser Vorort Sarcelles. Dort war es am Rande einer Demonstration, die trotz Verbotes stattfand, zu Krawallen gekommen. Aufgrund seiner großen jüdischen Gemeinde wird Sarcelles auch "Klein-Jerusalem" genannt. Ziel einer Attacke pro-palästinensischer Demonstranten war unter anderem ein Geschäft für koschere Lebensmittel.
Es sei legitim, Position zu den Geschehnissen in Gaza zu beziehen, aber "nichts rechtfertigt Gewalt", so Cazeneuve. Während in vielen anderen französischen Städten Menschen friedlich auf die Straße gingen, wurde neben Sarcelles auch Paris Schauplatz von Ausschreitungen. Teils maskierte Jugendliche setzten Mülltonnen in Brand und zündeten Rauchbomben. 44 Personen wurden festgenommen.
Schon eine Woche zuvor war eine Demonstration eskaliert, bei der Teilnehmer "Tod den Juden" riefen. Betende in einer Pariser Synagoge konnten diese nicht verlassen, sonst wären sie einem aufgebrachten Mob in die Hände gefallen. Zwei Stunden brauchten die Sicherheitskräfte, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Das sei traumatisierend gewesen, erklärte Frankreichs Oberrabbiner Haïm Korsia: "Ein Herr von 90 Jahren gestand mir mit Tränen in den Augen, dass er sich an die ,Reichskristallnacht‘ erinnert fühlte."
Neue Form des Antisemitismus
Premierminister Manuel Valls warnte vor "einer neuen Form von Antisemitismus". Jeder Angriff auf Juden sei ein Angriff auf Frankreich. Im Herbst hatten Aufführungsverbote für den streitbaren Humoristen Dieudonné, bekannt für antijüdische Provokationen, heftige Debatten ausgelöst. Besonders schockierten die Taten des Terroristen Mohammed Merah, der im März 2012 in Toulouse und Umgebung drei Soldaten und vor einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Rabbiner erschoss, sowie des Nordfranzosen Mehdi Nemmouche, der Ende Mai im Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen tötete.
Vertreter der jüdischen Gemeinschaft beklagen eine zunehmende Judenfeindlichkeit, für die der israelisch-palästinensische Konflikt nur als Vorwand diene. Dieser habe in Frankreich ein besonders lautes Echo, sagt der Rektor der Groschen Moschee von Bordeaux, Tareq Oubrou: "Das hat auf beiden Seiten eine fast dogmatische Dimension erreicht." In Frankreich leben knapp 600.000 Juden, mehr als in anderen europäischen Ländern; gleichzeitig zählt es mit schätzungsweise sechs Millionen Muslimen die größte islamische Gemeinschaft in Europa. Aus Mangel an Perspektiven und einem Gefühl des Ausgeschlossenseins aus der französischen Gesellschaft wenden sich gerade junge Männer dem radikalen Islam zu.
Allerdings gehen die anti-israelischen Proteste nicht nur von arabo-muslimischer Seite aus, sondern auch von politisch linken Bewegungen wie der Kommunistischen Partei, der Linkspartei und der Neuen Antikapitalistischen Partei. Deren Vorsitzender hat neue Demonstrationen am Samstag angekündigt - Verbot hin oder her.