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IWF-Ökonom Blanchard: Weltwirtschaft hat "gefährliche neue Phase betreten". | EU-Stresstest konnte Bankaktien nicht stabilisieren.
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Washington. "Die Weltwirtschaft hat eine gefährliche neue Phase betreten", sagte Olivier Blanchard, volkswirtschaftlicher Leiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Dienstag in Washington. Weltweit wurde die Wachstumsprognose für heuer und 2012 auf vier Prozent reduziert. "Das hört sich nicht so schlecht an", sagte Blanchard, "aber die sich entwickelnden Länder in Asien und Südamerika wachsen um circa 6,5 Prozent, die großen Industrieländer aber nur noch um 1,6 Prozent." Dazu zählen die USA und die EU-Staaten.
Einen der Gründe macht der Währungsfonds bei der sich verlangsamenden Kreditvergabe aus. "Viele Banken, vor allem in Europa, müssen stärker werden", so Blanchard. "Sie benötigen höhere Kapital-Puffer." Der Währungsfonds bleibt also dabei: Viele Banken haben eine zu geringe Kapitalausstattung, für Europa wird von einem Kapitalbedarf von 200 Milliarden Euro ausgegangen. Die Spirale nach unten schaut so aus: Schwächere Banken versuchen, Risiken zu vermeiden, und sind bei der Kreditvergabe vorsichtiger. Das reduziert Firmeninvestitionen und Konsumausgaben. Der Währungsfonds geht dabei mit Europa recht streng ins Gericht. "Die von der Europäischen Bankenaufsicht im Juli veröffentlichten Stress-Tests taten wenig, um die Bankaktien kurzfristig zu stabilisieren", heißt es im IWF-Bericht. Genau das ist das Problem: Die großen europäischen Banken haben in den vergangenen zwölf Monaten zwischen 40 und 70 Prozent ihres Wertes verloren. "Bei solchen Kursen ist an Kapitalerhöhungen nicht zu denken", räumen Banker am Rande der Jahrestagung des Währungsfonds ein.
Europa müsse mehr tun und im Ernstfall den Euro-Rettungsschirm (EFSF) benutzen, um Banken mit Eigenkapital zu versorgen. Das will nicht nur der Fonds, der ja bei der Rettung von Griechenland, Portugal und Irland ebenfalls involviert ist, sondern auch US-Finanzminister Timothy Geithner. Wenn der Euro-Rettungsschirm Staatsanleihen kauft, diese als Sicherheit bei der Europäischen Zentralbank hinterlegt, und das dazugewonnene Geld nochmals verwendet, könnte sich der 440-Milliarden-Euro-Schirm bis zu verfünffachen - so die Rechnung der Amerikaner. Die EU-Finanzminister haben damit wenig Freude. IWF-Chefökonom Blanchard sagte allerdings auch, dass "der Europäischen Zentralbank" eine wesentliche Rolle zukommt.
Osteuropa: Gemischte Gefühle
Die Stabilisierung der Banken wird bei der diesjährigen Jahrestagung eines der heißen Themen sein. Ohne Wachstum kommen die Ländern kaum aus der Schuldenfalle, so das Kalkül des IWF, der ja die Aufgabe hat, die Weltwirtschaft stabil zu halten.
Für Österreich rechnet der IWF im kommenden Jahr mit 1,6 Prozent Wachstum, das ist noch schwächer als die heimischen Wirtschaftsexperten erwarten. Hauptgrund für die Schwäche: Deutschlands Abschwung sowie nach wie vor schwächelnde Volkswirtschaften in Osteuropa. Polen, Rumänien und Bulgarien erreichen 2012 zwar drei Prozent Wachstum und mehr - von früheren Werten ist man damit aber meilenweit entfernt. Ungarn (1,7 Prozent) und Kroatien (1,8 Prozent) können sich dem westeuropäischen Trend nicht entziehen. Und auch die für österreichische Unternehmen wichtige Türkei wird 2012 massiv abstürzen - auf 2,2 Prozent nach 6,6 Prozent Wachstum heuer.
Ein Problem für diese Länder sind die steigenden Rohstoffpreise. Nahrungsmittel sind seit 2000 um 80 Prozent teurer geworden, Öl um 175 Prozent. Energieimportierende Länder sind davon natürlich schwer getroffen. Auch Russland und die GUS-Mitglieder können sich dem Rückgang nicht entziehen. Dort liegt das Wachstum mit knapp über vier Prozent zwar deutlich höher als in Westeuropa, aber auch dort wird die Erwartung um circa einen halben Prozentpunkt zurückgeschraubt.
Was den Währungsfonds vorsichtig macht, sind - so Blanchard - die Risken, die für das Wirtschaftswachstum bestehen. Schuldenkrise in Europa, den USA, hohe Rohstoffpreise und turbulente Wechselkurse machen es den Unternehmen momentan schwer.
Das größte Hindernis stellen aber die Politiker dar. "Die Politik in Europa ist ständig einen Schritt hinter den Märkten", sagte er am Dienstag. Es müsse alles schneller gehen. Schnell geht aber derzeit nur eines: Das Tempo der Wachstumsraten nach unten.