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Wachstum um jeden Preis

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Gegen eine einzigartige Krise helfen nur einzigartige Maßnahmen - aber mit welchen Folgen?


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Die USA haben, zumindest unter dem amtierenden Präsidenten, als Vorbild und Leitmacht ausgedient. Nur in einem Fall schwört die Alte Welt ihren eigenen Traditionen ab und richtet sich am Modell der Neuen Welt aus: Wenn es darum geht, so schnell wie möglich aus einer tiefen Rezession herauszukommen, hat sich Europa entschlossen, auf die Fiskal- und Geldpolitik des US-Kapitalismus zu setzen, die den Einsatz aller Mittel auf die Rückkehr zum Wachstum ausrichtet.

Der Donnerstag hat diesbezüglich den nächsten Schritt in einer länger andauernden Entwicklung markiert: So präsentierte zuerst die deutsche schwarz-rote Koalition ein 750 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket, das Mehrwertsteuersenkungen, Anreize und Entlastungen für Investitionen sowie Konsum für Bürger, Unternehmen und Gemeinden umfasst. Kurz darauf legte die Europäische Zentralbank bei ihrem Maßnahmenpaket gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie erneut kräftig nach, indem sie ihr Krisen-Notkaufprogramm für Anleihen um 600 Milliarden Euro aufstockt; mit den bereits bisher freigegebenen 750 Milliarden beläuft sich dessen Gesamtsumme nun auf 1,35 Billionen Euro.

Am größten Hebel von 2,39 Billionen Euro arbeitet die EU-Kommission, der Hilfen für Kurzarbeit und Unternehmen sowie Zuschüsse und Kredite für die Nationalstaaten mobilisieren soll. Anders als Deutschland und auch Österreich benötigen die am schwersten betroffenen Staaten wie Italien und Spanien Unterstützung, um sich so schnell wie möglich aus der Krise herausinvestieren zu können.

Dass dies kurzfristig funktionieren kann, haben die USA nach der Finanzkrise 2008 bewiesen. Die Hoffnung ist, dass das - trotz erheblicher Unterschiede in den ökonomischen Rahmenbedingungen - nun eben auch in Europa funktioniert. Die unmittelbare Konsequenz stark steigender Schuldenquoten in der Eurozone scheint im Durchschnitt verkraftbar - und für das Sorgenkind Italien braucht es ohnehin maßgeschneiderte Lösungen.

Entscheidend wird dagegen sein, ob das Wirtschaftsleben auf Dauer in die Abhängigkeit von billigem Geld, indirekter Staatsfinanzierung und ständig neuen Anreizprogrammen für den Konsum gerät. Die Folgen einer solchen Entwicklung für Europa, für die Eurozone werden jeden Staat und jede Branche betreffen - mit weitreichenden Verschiebungen von Verantwortung und Entscheidungsmacht. Gut möglich, dass dies unsere Zukunft ist. Eine offene und vor allem öffentliche Debatte darüber ist hoch an der Zeit.