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Wachstumsdifferenzen

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Der britische Regierungschef David Cameron, der gerne die europäische Integration torpediert, hat in der EU neun konservative Regierungskollegen gefunden, die mit ihm einen "Wachstumsimpuls" für Europa vorlegten. Bezeichnenderweise sind Deutschland und Frankreich nicht dabei.

In einem Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso wurden acht Punkte aufgelistet, um die lahmende Wirtschaft in Gang zu bringen.

Bei sämtlichen Punkten handelt es sich um Liberalisierungsmaßnahmen, es soll dereguliert werden wie in besten Zeiten vor der Krise. Mit einer Ausnahme: Am Arbeitsmarkt seien nationale Kompetenzen weiterhin zu respektieren.

Gegen die Schaffung eines einheitlichen Energiemarktes in der EU oder die Reduzierung "gebundener Berufe" ist nichts einzuwenden. Warum beim Thema "Innovation" aber öffentliche Förderungen und weniger private Risikobereitschaft angesprochen werden, ist nicht mehr so klar festzumachen. Und die Schaffung eines größeren Finanzdienstleistungssektors in Europa kann - mit der Weisheit des Rückblicks - auch als Drohung verstanden werden. Warum Cameron den "gemeinsamen Markt" beschwört, aber bei der gemeinsamen Währung verstummt, bleibt ebenso unbeantwortet. Cameron beweist mit diesem Brief bloß, wie einfallslos er selbst ist, aber auch die Europa-Politik insgesamt.

Richtig ist bloß eines: Die EU benötigt stärkeres Wachstum. Das Thema soll Anfang März beim EU-Gipfel besprochen werden. Wie Europa dies erreichen soll, steht indes in den Sternen. Erstens sind die 27 Regierungschefs - siehe diesen Brief - untereinander uneins. Zweitens ist in dem vorliegenden Papier von einer Stärkung der Massen-Kaufkraft eher nicht die Rede. Die Aufhebung nationaler Wettbewerbsschranken hört beim Arbeitsmarkt auf - "Mindestlohn" bleibt ein Pfui-Wort.

Dabei sind gerade die Hürden bei der Sozialversicherung und der Besteuerung von Arbeit unerträglich hoch. Einer der Gründe dafür liegt eben im nationalen Würgegriff auf die Arbeitsmärkte. Davor schrecken aber auch die überzeugtesten Neoliberalen zurück. Wenn es gemeinsame Regeln für Dienstleister gibt, warum nicht auch Mindeststandards für Beschäftigte?

Europa sucht Millionen Jobs. Das aktuelle Briefchen aus der wirtschaftspolitischen Mottenkiste wird keinen finden. Schade.