Zum Hauptinhalt springen

Wachstumsmotor Forschung in Gefahr

Von Nikolai Haring

Wissen
Qualitätsvolle Forschung ist eine unverzichtbare Voraussetzung für Wohlstand.
© Corbis/Radius Images

Wissen wird eine entscheidende Ressource für die Zukunft.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Mehr Geld für die Forschung, das klang durchaus erfreulich: Für das neue Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 hatte man in der EU 70,2 Milliarden Euro vorgesehen, was gegenüber dem 7. Forschungsrahmenprogramm (2007-2013) einen Zuwachs von fast 20 Milliarden Euro bedeutete. Die EU-Kommission mischte allerdings die Karten neu, als sie ihren Investitionsplan für den Zeitraum 2015 bis 2017 präsentierte: 2,7 Milliarden Euro könnten Horizon 2020 entzogen werden und in den neu geschaffenen European Fund for Strategic Investments (EFSI) umgeschichtet werden. Genau davor hat zuletzt die European University Association (EUA), eine Organisation, die sowohl die europäischen Universitäten als auch die nationalen Rektorenkonferenzen repräsentiert, gewarnt.

Wissen versus Tunnellöcher

Die angedachte Reduktion der europäischen Forschungsmittel erscheint umso bedenklicher, als das Public Funding Observatory der EUA zuletzt festgestellt hat, dass die öffentliche Finanzierung der Hochschulen in den Krisenjahren in zahlreichen europäischen Ländern gekürzt wurde. Eine Kompensation aus dem Horizon-2020-Forschungsprogramm würde durch die geplante Umschichtung deutlich erschwert werden.

Zwar ist das EU-Budget mit etwa einem Prozent der Wirtschaftsleistung der Mitgliedsstaaten nicht besonders üppig ausgestattet, allerdings werden davon derzeit 38 Prozent für landwirtschaftliche Subventionen ausgegeben, obgleich die Landwirtschaft gerade einmal 1,53 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in der EU ausmacht. Die Forschung ist mit 7 Prozent Budgetanteil im Verhältnis dazu eindeutig zu schwach dotiert. Hier hat es gegenüber der Vergangenheit zwar Verbesserungen gegeben, diese hätten aber entschlossener ausfallen müssen. Nur die skandinavischen Länder weisen derzeit eine F&E-Quote von mehr als 3 Prozent des BIP auf und sind damit in Europa Spitzenreiter.

Wissen wird zweifellos eine entscheidende Ressource der Zukunft sein und qualitätsvolle Forschung eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass der nach wie vor hohe Lebensstandard und große Wohlstand in Europa in den kommenden Jahrzehnten gehalten werden kann. Vor allem vielversprechende Forschungsergebnisse könnten eine Motivation dafür sein, in Europa wieder zu investieren. Ökonomisch fragwürdige, dafür umso sichtbarere Löcher in heimische Berge zu bohren (Brenner, Koralm und Semmering), wird hingegen wohl kein Zukunftsgarant sein.

Geschwächt wird die europäische Forschung derzeit auch dadurch, dass die Stelle der wissenschaftlichen Beraterin des EU-Kommissionspräsidenten derzeit vakant ist und möglicherweise gar nicht nachbesetzt werden soll. Anne Glover, von 2012 bis 2014 die Erste in dieser Position, hatte es schwer, die Aufmerksamkeit der EU-Bürokraten zu erlangen. Dafür zog sich die diplomatisch unerfahrene Molekularbiologin mit ihrem klaren Bekenntnis zu genetisch modifizierten Organismen den Zorn grüner NGOs zu, die bei Jean-Claude Juncker letztlich erfolgreich ihre Absetzung betrieben.

Jetzt mag es schon so sein, wie Alberto Alemanno, Professor für EU-Recht, meint, dass man auch auf anderen Wegen wissenschaftlichen Rat an die politischen Entscheidungsträger herantragen könne. Sicher ist aber, dass es in den nächsten Jahren viele heikle Themenfelder geben wird, die wissenschaftliche Beratung erfordern: Datenschutz beispielsweise, künstliche Intelligenz, Anwendung neuer Materialien (wie etwa des Nanostoffs Graphen), synthetische Biologie und vieles mehr.

Und wie ist es um die Voraussetzungen für Forschung in Österreich bestellt? Leider schlecht.

Die F&E-Quote in Österreich stagniert schon seit einigen Jahren und dürfte 2014 sogar geringfügig auf 2,88 Prozent des BIP zurückgegangen sein. Von ihrem selbstgesteckten Ziel und Versprechen, bis 2020 eine F&E-Quote von 3,76 Prozent zu erreichen, ist die österreichische Bundesregierung meilenweit entfernt, wie zuletzt etwa Hannes Androsch, der Vorsitzende des Rates für Forschung und Technologieentwicklung, in Hinblick auf die 2011 beschlossene Forschungsstrategie einmahnte.

Vor allem die Grundlagenforschung ist deutlich unterfinanziert, wie Ex-IHS-Chef Christian Keuschnigg jüngst betonte: "Wir sind hier nicht konkurrenzfähig." So hat etwa der Schweizer Nationalfonds, der für Grundlagenforschung zuständig ist, ein etwa dreimal so hohes Budget zur Verfügung wie der österreichische Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), der zudem unter rückläufigen Bewilligungsquoten leidet.

FHs ohne Basisfinanzierung

Im Raum steht nun auch, dass von den zusätzlichen 615 Millionen Euro, die Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner und Finanzminister Hans Jörg Schelling den Universitäten erst im Dezember zugesagt haben, gleich wieder ein bis zu dreistelliger Millionenbetrag zur Finanzierung jener Mehrkosten im medizinischen Bereich abgezweigt werden könnte, die durch die Umsetzung der EU-Dienstzeitrichtlinie entstehen werden.

Aber auch die Fachhochschulen stehen - trotz vehementer Forderung - nach wie vor ohne Basisfinanzierung da, sodass nur mittels drittmittelfinanzierter, temporärer Forschungsprojekte langfristig ein wissenschaftliches Know-how aufgebaut werden kann. Im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz, wo ein brain gain stattfindet, leidet Österreich seit geraumer Zeit an einem brain drain. Gefragt wären überfällige Strukturreformen (so bringt etwa die überdurchschnittlich teure Schulausbildung nur mittelmäßige Ergebnisse) und mutige Politiker, die die so frei gewordenen Mittel zum Wohle des Standorts Österreich in Forschung und Entwicklung investieren. Dies wird für unsere Zukunft entscheidend sein.