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Wächter des kriselnden Glaubens

Von Heiner Boberski

Politik
Benedikt XVI. auf seiner jüngsten, aufsehenerregenden Reise in Kuba.

In Westeuropa erntet der konservative Kurs des Kirchenoberhauptes am meisten Kritik.


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Wien. Er hat in einer schwierigen Zeit ein schwieriges Amt inne: Papst Benedikt XVI., der am 16. April das 85. Lebensjahr vollendet und am 19. April den siebenten Jahrestag seiner Wahl zum Bischof von Rom begeht. In einer sehr pluralistisch gewordenen römisch-katholischen Kirche kann es der Nachfolger Petri den wenigsten ganz und vielen nur wenig recht machen. Die Kirche hat längst ihre einst dominierende Rolle verloren und steht im harten Wettbewerb mit einer Fülle von Weltanschauungen.

In dieser Situation hat Joseph Ratzinger sein Pontifikat in erster Linie der Grundsatzfrage nach Gott gewidmet, weniger den moralischen Streitfragen, denen er aber keineswegs ausweicht. Und obwohl er aus anderem Holz geschnitzt ist als sein charismatischer und mediengewandter Vorgänger Johannes Paul II., war er von Anfang an bemüht, dessen Linie nicht zu verlassen.

In diesem Sinne geht auch Benedikt XVI. auf Auslandsreisen, gleich mit seiner ersten im August 2005 zum Weltjugendtag in Köln folgte er der Spur des polnischen Papstes, der diese Treffen angeregt und regelmäßig besucht hatte. "Die Kirche lebt. Und sie ist jung!", hatte der deutsche Pontifex bei seiner Amtseinführung ausgerufen, einen Satz, den sicher nicht jeder unterschreibt, dessen Nachweis Benedikt XVI. aber offenbar ein großes Anliegen ist.

Doch die "Neuevangelisierung", welche die - jedenfalls in den westlichen Industriestaaten - zahlenmäßig kriselnde römisch-katholische Kirche anstrebt, geht trotz des großen Engagements einzelner Bewegungen nur schleppend vor sich. Dass sich der Papst selbst auf seinen Reisen eher in den katholischen Kernschichten bewegt, deutet darauf hin, dass er weiß, wie wenig mehrheitsfähig - und das bestätigen ja auch immer wieder Umfragen - seine Positionen sind. Es gilt ja schon als Sensation, wenn er einmal sagt, im Falle von Prostitution könnte die Verwendung von Kondomen das kleinere Übel sein.

Viele Katholiken gingen - aus unterschiedlichen Gründen, die von Ärger über römische Aussagen (etwa zu Fragen der Sexualmoral) und Maßnahmen (Ernennung unakzeptabler Bischöfe) bis zu Glaubenskrisen reichen - zu ihrer Kirchenleitung auf Distanz. Die sich vor allem in Mittel- und Westeuropa breitmachende Kritik wird nicht nur von Laien, sondern auch von Theologen und Priestern getragen. Indem er jüngst in seiner Gründonnerstagpredigt den von Österreich ausgehenden "Aufruf zum Ungehorsam" zurückwies, überraschte Benedikt XVI. viele. Üblicherweise neigt ja Rom dazu, "Rebellen" jenseits der Alpen zu ignorieren oder durch die lokale kirchliche Autorität bestrafen zu lassen (sofern diese dabei mitspielt).

Starke Akzente gesetzt

Benedikt XVI. gilt als der seit langem bedeutendste Theologe, dem die Schlüssel Petri anvertraut sind. Er hat vor allem mit seinen Büchern über Jesus von Nazareth und mit seinen drei Enzykliken - über die Liebe (Deus caritas est), über die Hoffnung (Spe salvi) und zu sozialen Fragen (Caritas in veritate) - über kirchliche Kreise hinaus für Gesprächsstoff gesorgt.

Auf und mit seinen Reisen hat Benedikt XVI. starke Akzente gesetzt, etwa als deutscher Papst im Vernichtungslager Auschwitz oder in Auseinandersetzung mit dem Islam - in seiner berühmten, viele Muslime kränkenden Regensburger Rede, aber auch als versöhnlicher Beter in der Blauen Moschee in Istanbul. Er trat als sozialer Mahner in Afrika und Lateinamerika auf, zuletzt in Mexiko und Kuba.

Er pilgerte ins Heilige Land und hat die Beziehungen zum Judentum so gefestigt, dass sie auch die grobe Panne um den Holocaust-Leugner Richard Williamson überdauerten. Doch das Zugehen Roms auf die traditionalistische Piusbruderschaft, der Williamson angehört, verstört viele.

Einige päpstliche Reisen beinhalteten Treffen mit Missbrauchsopfern, vor allem in der angelsächsischen Welt, wo das diesbezügliche jahrelange skandalöse Verhalten der Kirche auf besonders heftige Kritik stieß. In Großbritannien drängte eine Gruppe sogar auf eine Verhaftung des Papstes, da man ihm Mitwisserschaft vorwarf. Zur Beruhigung der Lage im traditionell katholischen Irland sah sich Benedikt XVI. genötigt, einen eigenen reuevollen Hirtenbrief zu schreiben.

Alte Mitarbeiter behalten

Joseph Ratzinger, der Gendarmensohn aus Marktl am Inn, hat als junger Theologe das Zweite Vatikanische Konzil erlebt. Schockiert von den Ereignissen des Jahres 1968 an der Universität Tübingen verlegte er seine Lehrtätigkeit ins ruhigere Regensburg, von wo er zum Erzbischof von München und Kardinal befördert wurde. Johannes Paul II. holte ihn 1981 als Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre an die römische Kurie, wo der versierte Dogmatiker bald modernen Theologen das Leben schwer machte.

Seinem einstigen Kollegen in Tübingen, dem Schweizer Hans Küng, der ein harter Kritiker vatikanischer Aussagen geblieben ist, gewährte Benedikt XVI. immerhin im ersten Jahr seines Pontifikates eine Audienz. Dass dieses Pontifikat von Ratzingers Zeit in der Glaubenskongregation geprägt ist, zeigt sich darin, dass er seine engsten Mitarbeiter von dort behalten hat: Tarcisio Bertone, nun Staatssekretär, und William Levada, nun Präfekt der Glaubenskongregation.

Offener ist Benedikt, auch hier Johannes Paul II. folgend, gegenüber anderen Religionen geworden, er hat die Friedensgebete von Assisi weitergeführt. Eng blieb er gegenüber den Protestanten, denen Rom nach wie vor den Status einer Kirche abspricht. Zu den Anglikanern hält man mehr Distanz, seit dort Frauen Priester werden können - die Rom offenbar angenehme Folge ist, dass immer mehr konservative Anglikaner katholisch werden.

Zum Geburtstag wird viel Prominenz nach Rom kommen, am 20. April spielt das Leipziger Gewandhausorchester für den musikbegeisterten Pontifex aus Bayern, der dort einst wegen seines Humors den Karl-Valentin-Orden erhielt. Humor und viel Kraft wird der seit mehr als 100 Jahren älteste Mann auf der Cathedra Petri sicher noch brauchen.