Gremium lässt viele Kandidaten nicht antreten. | Ebadi selbst geht nicht zur Wahl.
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Wiener Zeitung:In dieser Woche wird im Iran gewählt. Wirkt sich der Atomstreit auf die Wahlen aus?Shirin Ebadi: Bevor ich an den Atomstreit oder an die internationalen Beziehungen des Iran denke, kommt mir sofort etwas anderes in den Sinn: Die tatsächliche Wahlmöglichkeit der Bevölkerung bei dem bevorstehenden Urnengang. Wählen heißt, dass die iranische Bevölkerung unter Berücksichtigung der Gesetze jeden Kandidaten wählen kann, wenn dieser die Voraussetzungen (z. B. einen einwandfreien Leumund zu haben) erfüllt. Und das ist der Punkt, auf den es ankommt: Die Rolle des sogenannten Wächterrats schränkt die Wahlfreiheit der Menschen ein.
Sie sprechen damit die Vorselektion der Kandidaten durch den Wächterrat an. Von den über 7500 Kandidaten hat der Wächterrat mehr als 3000 abgelehnt.
Ja. Der Gesetzgeber im Iran sagt, dass die freien Wahlen in einer einzigen Prozedur über die Bühne zu gehen haben. Tatsache ist nun aber, dass wir de facto eine zweiteilige Wahl haben. Zuerst wählt der Wächterrat und dann "darf" die Bevölkerung aus jenen Kandidaten, die der Wächterrat zugelassen hat, auswählen. Zur Verdeutlichung: Sowohl im 7. Parlament seit der islamischen Revolution als auch für die jetzigen Wahlen hat der Wächterrat einschränkend eingegriffen und viele Kandidaten abblitzen lassen. Das schränkt die Wahlmöglichkeit natürlich ein.
Warum werden so viele von diesem Führungs- und Kontrollgremium abgelehnt?
Bedenklich ist die Tatsache, dass diese Ablehnungen bisweilen kaum nachzuvollziehen sind. Wenn etwa der Freitagsprediger einer Provinz, hinter den sich die Menschen stellen und beten, nicht zugelassen wird, dann ist das ja doch eigenartig. Wie kann so jemand abgelehnt werden? Wo bleibt da die Frage des Glaubens? Auch der Enkel des Revolutionsführers Imam Khomeini ist ebenfalls abgelehnt worden.
Einige Kandidaten, die ursprünglich abgelehnt wurden, sind jedoch nach einer nochmaligen Überprüfung und dem Protest mancher mächtiger islamischen Obrigkeiten im Iran dann doch wieder zugelassen worden.
Das ist korrekt. Wie viele es genau sind, wurde nicht veröffentlicht, aber ich bleibe dabei: Nicht ein einziger Kandidat, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, sollte abgelehnt werden. Das stellt die Wahlfreiheit in Frage.
Werden Sie wählen gehen?
Wer mich kennt, weiß, dass ich zu keiner Wahl gehe, solange dieser von mir beschriebene Mechanismus der Einschränkung der Wahlfreiheit durch den Wächterrat intakt ist. Ich gebe gleichzeitig aber auch keine Empfehlung ab, ob jemand wählen gehen sollte oder nicht, das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Die Unzufriedenheit mit den Entscheidungen des Wächterrates sind auch Teil der iranischen Medien-Berichterstattung...
Es gibt sowohl im Alltag als auch in den Medien heftige Kritik an diesem System. Der Wächterrat blockiert hier die Wahlfreiheit und hat seine Kompetenzen überschritten.
Sind diese Wahlen ein Stimmungstest für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2009?
Nein. Es ist immer wieder das selbe Problem: Auch dann wird der Wächterrat entscheiden, wer zugelassen wird. Und weil ja die Wahlmöglichkeit schon im Vorhinein durch den Wächterrat eingeschränkt wird, kann man auch einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Urnengängen ausschließen. Ein Beispiel: Unser ehemaliger Präsident Mohammad Khatami bekam 22 Millionen Stimmen. Wenn er sich im Jahr 2009 wieder als Präsidentschaftskandidat aufstellen lässt, wird er für alle Kandidaten ein ernstzunehmender Konkurrent sein. Doch die Frage ist: Wird er zugelassen? Und was, wenn nicht? Sie sehen, alles hängt von der Wahlmöglichkeit ab.
(Der Artikel ist ursprünglich am 13.3.2008 erschienen)