Rafsanjani-Tochter festgenommen. | Schüsse im Norden Teherans. | Teheran. Der Wächterrat hat Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen am 12. Juni im Iran festgestellt. Wie der iranische Fernsehsender Press TV am Sonntag auf seiner Internetseite berichtete, habe es in 50 Städten mehr Wähler als Wahlberechtigte gegeben. Der Sprecher des Wächterrats sagte im Fernsehsender IRIB, die Unregelmäßigkeiten beträfen mehr als drei Millionen Stimmen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es müsse jedoch noch geprüft werden, ob diese Stimmen für den umstrittenen Wahlausgang entscheidend gewesen seien, betonte der Sprecher. An dem Urnengang hatten sich 85 Prozent der rund 46 Millionen Wahlberechtigten beteiligt.
Das mächtige Kontrollgremium des Wächterrats hatte infolge der Massenproteste gegen das Wahlergebnis, laut dem Präsident Mahmoud Ahmadinejad bereits im ersten Wahlgang im Amt bestätigt wurde, eine "stichprobenartige" Neuauszählung von zehn Prozent der Stimmen angekündigt. Ahmadinejad erhielt nach offiziellen Angaben fast 63 Prozent der Stimmen, der Oppositionskandidat Mir-Hossein Moussavi kam lediglich auf knapp 34 Prozent.
"Starke Unglaubwürdigkeiten" förderte auch eine britische Analyse der offiziellen Wahlergebnisse im Iran zutage. Die vom iranischen Innenministerium herausgegebenen Daten setzten einen radikalen Wandel in den Wählerstrukturen voraus, erklärte der britische Think Tank "Chatham House" am Sonntag. In den konservativen Provinzen Mazandaran und Yazd hätten laut offiziellen Wahlergebnissen gar mehr als 100 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben.
Das Wahlergebnis hatte Massenproteste ausgelöst. Beim harten Durchgreifen von Polizei und dem Präsidenten nahe stehende Basiji-Milizen wurden nach offiziellen Angaben allein am Samstag mindestens 10 Menschen getötet, Hunderte verletzt und mehr als 450 festgenommen. Die Konfrontation zwischen beiden Lagern hatte sich weiter zugespitzt, als sich der oberste Führer des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, am Freitag eindeutig hinter Ahmadinejad gestellt und Wahlfälschung in großem Stil ausgeschlossen hatte.
Auch am Sonntagabend berichteten Augenzeugen wieder von Schüssen, die aus mehreren Teilen der iranischen Hauptstadt zu hören gewesen seien. In Sprechchören sollen Gegner des ultrakonservativen Präsidenten immer wieder "Allah ist groß" und Moussavis Namen gerufen haben, eine Protestform, die auf den Aufstand gegen den Schah 1979 zurückgeht. Auch "Tod dem Diktator" sei immer wieder zu hören gewesen.
Gemeldet wurde auch die vorübergehende Verhaftung der Tochter des früheren Präsidenten Hashemi Rafsanjani, Faezeh Hashemi. Rafsanjani ist nach wie vor einer der einflussreichsten Männer in der Führung der Islamischen Republik, gilt aber als Reformer und ist ein Gegner Ahmadinejads.
Moussavi rief am Sonntagabend seine Anhänger zur Fortsetzung der Proteste auf. Angesichts des gewaltsamen Vorgehens der Sicherheitskräfte forderte er jedoch zur Zurückhaltung bei Demonstrationen gegen die umstrittene Wiederwahl von Ahmadinejad auf. "Es ist euer Recht, gegen Lügen und Betrug zu protestieren, aber ihr solltet immer Zurückhaltung üben", heißt es auf einer auf Mussawis Internetseite verbreiteten Erklärung.
Der als Reformer geltende Ex-Präsident Mohammed Khatami warnte am Sonntag, dass Sicherheitskräfte und Militär durch Verhängung des Kriegsrecht die Macht im Land übernehmen könnten. Er sprach dem Wächterrat ab, die Wahlvorwürfe unparteiisch prüfen zu können. "Ein faires, professionelles, unparteiisches und mutiges Team, dem auch die Demonstranten vertrauen, und deren Urteil akzeptiert werden kann, wird die Lösung der gegenwärtigen Unruhen sein", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur IRNA den als gemäßigt geltenden früheren Präsidenten am Sonntag.
Auch am Sonntag wurden wieder Journalisten festgenommen oder des Landes verwiesen, was die Überprüfung im Internet kursierender Informationen erschwerte. Für Aufsehen sorgte etwa ein Video, das den Tod einer jungen Frau am Rande der Demonstration in Teheran vom Samstag zeigt. In den sozialen Netzwerken hieß es, die 19-jährige "Neda" sei von einem Scharfschützen der "Basiji"-Milizen tödlich getroffen worden.
Der internationale Druck auf die Führung in Teheran nimmt unterdessen zu. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy bezeichnete das Verhalten der iranischen Führung gegenüber den Demonstranten in einer Erklärung als "unentschuldbar". Der italienische Außenminister forderte, die iranische Regierung müsse die Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konfliktes schaffen. Zuvor hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Neuauszählung der Stimmen bei der umstrittenen Präsidentenwahl verlangt. US-Präsident Barack Obama rief Teheran dazu auf, "alle gewalttätigen und unberechtigten Handlungen gegen die Menschen im eigenen Land zu stoppen".
Ahmadinejad warnte seinerseits die westlichen Staaten vor einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran. Obama und den britischen Premier Gordon Brown forderte er laut der Agentur ISNA auf, ihre "interventionistische Haltung" zu korrigieren.
Rund 1.200 Menschen haben sich nach Polizeiangaben am Sonntagabend vor dem Parlament in Wien versammelt, um für eine Neuaustragung der Präsidentschaftswahlen im Iran demonstriert. Sprechchöre mit den Worten "Weg weg weg, die Mullahs müssen weg" und "Nieder mit der Diktatur" waren von den Protestteilnehmern zu hören. "Wir verurteilen den grausamen Mord an unseren Landsleuten und die Inhaftierung Hunderter Oppositioneller, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten", erklärte einer der Veranstalter, Ahmad Hashemi.
Mullah-Regime greift unerbittlich durch