Die Deutschen misstrauen ihrer Wirtschaftsordnung. | In Österreich Unmut über Blockade bei Reformen. | Wien/Berlin. Die Folgen der Finanzkrise sind längst nicht aufgearbeitet - weder wirtschaftlich und schon gar nicht mentalitätsmäßig.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Banken zeigt, dass das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft in unserem Nachbarland auf einem Tiefpunkt angelangt ist: Nur noch 48 Prozent sind der Meinung, diese Wirtschaftsordnung habe sich bewährt.
Steter Vertrauensverlust in Deutschland
Das ist der niedrigste Wert seit 1994, als die Umfrage zum ersten Mal durchgeführt wurde. Damals bekannten sich noch 73 Prozent zur sozialen Marktwirtschaft, schreibt die "Berliner Zeitung". Seitdem ging es mit dem Vertrauen bergab: 2004 betrug der Anteil der bekennenden sozialen Marktwirtschafter noch 56 Prozent.
Auch das Ansehen der Demokratie kommt dabei nicht ungeschoren davon: Nur noch jeder Zweite zeigt sich mit dem demokratischen System vollauf zufrieden, vier von zehn Befragten äußern sich dagegen kritisch.
Österreich tickt deutlich anders
Auf Österreich lassen sich diese Ergebnisse nicht so leicht umlegen, ist Meinungsforscher Peter Ulram von GfK Austria überzeugt. 2009, also in dem Jahr, als die Krise die Köpfe der Menschen erreichte, sei in Österreich das Vertrauen der Bürger in sämtliche politische Institutionen sogar angestiegen. "Die Leute haben sich damals wirklich gefürchtet und nach Halt gesucht", erklärt Ulram dieses Phänomen.
Während die Österreicher demnach mit dem Krisenmanagement der Regierung und anderen Institutionen, darunter auch der Europäischen Union, weitgehend zufrieden waren, sinkt nun die Akzeptanz mit den Maßnahmen zur Sanierung der desolaten Haushaltslage. Zumal dann auch die politischen Konflikte wieder eskalieren. Für Ulram ist dies eine logische Konsequenz: "Immer wenn die Menschen das Gefühl einer Blockadehaltung haben, sinkt das Ansehen der Regierung".
Politische Nutznießer sind Protestparteien, wie man nicht zuletzt am Ausgang der Wahlen in Wien und der Steiermark ablesen kann. Aber auch Parteien wie die FPÖ sind, so Ulram, nicht vom Urteil der Bürger ausgeschlossen, wonach die Leistungsfähigkeit der gesamten Politik abgenommen habe.
Was bedeutet "soziale Marktwirtschaft"?
Was das Vertrauen der Österreicher in die Marktwirtschaft angeht, so ist der Meinungsforscher deutlich vorsichtiger - und zwar primär aus methodischen Gründen: "In Österreich sind vor allem Anhänger von SPÖ und Grünen starke Befürworter der sozialen Marktwirtschaft; bei Wählern der ÖVP ist deren Einschätzung zwar immer noch leicht positiv, aber bereits deutlich skeptischer; und FPÖ-Anhänger sind besonders negativ. Das deutet darauf hin, dass hierzulande unter dem Begriff soziale Marktwirtschaft jeder etwas anderes versteht."
Angesprochen auf das sinkende Vertrauen der Deutschen in die soziale Marktwirtschaft warnt Ulram jedoch, vorschnell der Finanzkrise die Schuld zu geben, da das Vertrauen über einen langen Zeitraum hinweg abgenommen habe.
Ausgesprochen positiv fällt dafür das Urteil der Unternehmer über die österreichische Wirtschaftsordnung aus. 89 Prozent haben laut einer Umfrage von Ernst & Young vom Sommer volles Vertrauen in deren Mechanismen.