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Waffenschmuggel à la Hollywood?

Von Ritt Goldstein

Politik

Händlermafia mit Verbindungen nach ganz oben? | Moskau wollte wohl internationalen Skandal verhindern. | Stockholm. Die Hintergründe der Ereignisse rund um das Schiff "Arctic Sea" "werden sicher eines Tages zur Geschichte eines Hollywood-Films", meinte der EU-Sprecher Martin Selmayr. Aber ein Experte für Piraterie und internationales Recht, James C. Kraska vom US Naval War College in Newport, Rhode Island, meint, das sie einem solchen vermutlich jetzt schon ähneln, und der Film heißt "Händler des Todes".


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Kraska stellt fest, dass heutzutage keine Regierung eine monolithische Kommandostruktur in ihren Machtzentren hat - "vor allem in Russland scheint die linke Hand oft nicht zu wissen, was die rechte tut", meint er gegenüber der "Wiener Zeitung". "Erinnern Sie sich an den Film mit Nicholas Cage ,Lord of War - Händler des Todes?", fragt er. In dem Streifen von 2005 ging es um den Schmuggel von russischen Waffen und wie er abläuft.

Konkurrierende Klans

Zunächst hatte die Presseagentur AP am 21. August erste Andeutungen über "konkurrierende Geschäfts- und Kreml-Klans in Moskau" gemacht. AP berief sich in ihrer Analyse auf einen "früheren russischen Geheimdienstagenten", jetzt ein "Konsulent zu russischen Sicherheitsangelegenheiten". Vergangenes Wochenende veröffentlichte die britische Zeitung "Independent" eine Geschichte, in der ein hoher russischer Marineoffizier, "aus dem engeren Umfeld der ,Arctic Sea-Untersuchung" gegenüber der russischen Zeitung "Komsomolskaya Prawda" den Verdacht äußert, das Schiff habe Waffen transportiert.

Es sei um ein S-300-Luftverteidigungssystem und X-55-Cruise Missiles gegangen, die vermutlich für den Iran bestimmt gewesen seien. Der "Independent" spricht von einer "Waffenmafia", die angeblich "unter Einbindung von russischen Amtsträgern, aber außerhalb des Gesetzes operiert."

Einen Tag nach der Aufbringung der "Arctic Sea" flog Israels Präsident Shimon Peres überraschend nach Moskau, um dort mit Präsident Dmitri Medwedew unter anderem über das S-300-System und den Iran zu sprechen. Russland und der Iran haben einen Vertrag zur Lieferung dieser Flugabwehrraketen geschlossen, angeblich wurde das System aber nie geliefert.

Vertuschung im Kreml

Aus solchen Vorgängen schließt Kraska, der selbst seit langem als Marineoffizier dient, dass die Umstände "illegale Fracht" vermuten lassen - "Waffenhandel". Es scheine, dass eine andere Gruppe des Schwarzmarktes "von dem Deal wusste und glaubte, daraus Kapital schlagen zu können - das ist irgendwie schiefgegangen, und jetzt sitzt Russland in der Tinte."

Die AP-Geschichte endete mit der Bemerkung, das "der Kreml zu intervenieren gezwungen war, um einen internationalen Skandal zu verhindern." "Das ist ein völlig plausibles Szenario, denn das hat es schon in der Vergangenheit gegeben", erläutert der Experte für internationale Sicherheit, Nikolas K. Gvosdev, gleichfalls vom Naval War College. Es habe schon früher in diesem Jahr Berichte "über ein Waffenschmuggel-Netzwerk in der russischen Marine gegeben".

Die seltsamen Vorgänge rund um das 4000-Tonnen-Schiff begannen am 28. Juli mit einem Bericht über einen angeblichen Angriff auf das Schiff vor der schwedischen Küste. Am 31. wurde der Frachter als vermisst gemeldet, bis er am 16. August von der russischen Fregatte "Ladny" vor den Kapverdischen Inseln aufgebracht wurde. Während die Geschichte zunächst offiziell als Akt der Piraterie dargestellt wurde, deuten die Ereignisse und einige Interviews auf anderes hin.

"Die Untersuchung läuft und es wird einige Zeit brauchen, bevor sie abgeschlossen ist und der Bericht herauskommt", sagt Jan-Olof Nyholm, hochrangiger finnischer Kriminalbeamter und ein Sprecher der von vier Staaten besetzten, in Helsinki angesiedelten Einsatzgruppe, die den Fall untersucht. Auf die Frage, ob er Zugang zur Schiffsbesatzung und den Kidnappern habe, sagt er: "Ich glaube, wir machen da Fortschritte."

Nach der Eroberung des Schiffes wurden elf der 15 Seeleute der "Arctic Sea" und acht mutmaßliche Entführer nach Moskau geflogen. Russland schickte dafür drei Iljuschin Il-76, eines der größten Frachtflugzeuge der russischen Luftwaffe - eine Tatsache, die ihrerseits neue Fragen aufwirft. Russische Behörden konnten trotz Nachfragen nichts zu dem Fall sagen.

Aufdecker im Exil

Nach ihrer Ankunft in Moskau wurden Crew und Entführer nach Lefortowo, das Hochsicherheitsgefängnis des Justiministeriums, gebracht, das früher vom KGB betrieben wurde. Kraska bemerkt, dass Russland "die Mannschaft eher abzusondern als zu befragen" scheint. Am 25. August schrieb die "Moscow Times", dass die Mannschaft - entgegen offiziellen Verlautbarungen - de facto in Isolationshaft gehalten werde. Am 30. August wurden die Seeleute schließlich entlassen.

Noch am 24. August sagte der russische Nato-Botschafter Dmitri Rogozin zu "Spiegel online", dass die Arctic Sea "wirklich nur Holz transportierte. Es ging um Lösegeldforderungen". Am 25. allerdings schloss laut der russischen Interfax-Agentur der russische Chefermittler Alexander Bastrykin eine andere Fracht nicht mehr aus. Und Tags darauf sagte der Chef des Generalstabs, General Nikolai Makarow: "Die Motive der Entführung sind nicht völlig klar. Wir wissen nichts über die Fracht."

Michail Woitenki, der in seinem Marine-Newsletter als Erster über das Verschwinden des Schiffes berichtet hatte, hat Moskau vorgeworfen, wichtige Informationen bewusst zurückgehalten zu haben. Nach Drohungen hat er Russland verlassen - und am Freitag in Istanbul bekanntgegeben, dass er als Chefredakteur des Newsletters zurücktrete.

Die Einsatzgruppe in Finnland besteht aus vier Nationen: Finnland, Heimathafen und Reedereistandort des Schiffes, Malta, wo die "Arctic Sea" registriert ist, Schweden und Estland, wo sechs der Entführer gelebt haben sollen.

Der finnische Ministerpräsident Matti Vanhanen erörterte die Frage der "Arctic Sea" bei einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin am Dienstag dieser Woche. Dabei habe Putin die Kooperation der Behörden zugesagt, sagte die Beraterin des Premiers, Anna-Mari Vimpari, zur "Wiener Zeitung".