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"Bald könnte es so weit kommen, dass man uns den Genuss von Wagners Musik auch noch zu Hause mit der Begründung verbietet, dass sie die Luft verpeste." Man braucht kein feines Ohr, um die überspitzte Pointe im Streit um ein Richard-Wagner-Konzert in Israel zu verstehen: Jonathan Livni, Präsident des ersten Wagner-Verbandes im jüdischen Staat, spielt auf das menschenverachtende Vokabular der NS-Zeit an und verknüpft es mit Israels Wagner-Gegnern. Wie geschmackssicher das ist, sei dahingestellt. Den Ausgangspunkt der Debatte spiegelt das aber klar wider: In Israel gilt die Musik Richard Wagners seit jeher als verwachsen mit dem Nationalsozialismus. Und darum gehen auch heute, nach Wagner-Experimenten von Dirigenten wie Daniel Barenboim in Israel, noch die Wogen hoch. Ausschließlich Musik des Deutschen hätte - nun erstmals! - in einem Konzert am 18. Juni erklingen sollen. Die Universität Tel Aviv untersagte die Veranstaltung zuletzt mit Verweis auf die Gefühle "der israelischen Öffentlichkeit im Allgemeinen und der Holocaust-Überlebenden im Besonderen". Letztere bezeichneten das Ansinnen gar als "emotionale Folter". Nun könnte das Konzert doch noch im Hilton Hotel von Tel Aviv stattfinden.
Dass Wagner mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Israel immer noch Sprengstoff ist, liegt nicht nur an seiner Vereinnahmung durch die Nazis, die die Festspiele von Bayreuth zu einer Propaganda-Veranstaltung hochrüsteten. Durch Schriften wie "Das Judentum in der Musik" nährte Wagner selbst Vorwürfe des Antisemitismus. Ob der Deutsche, der die Uraufführung seines "Parsifal" in die Hände eines Juden legte, als Ahn des NS-Rassenhasses gelten darf, ist damit aber nicht erwiesen: Auf diesem musikhistorischen Minenfeld wird seit langem gezankt.
Die allgemeinere Frage lautet aber: Könnten die Israelis je eine bisher dermaßen angefeindete Musik genießen? Lösungsversuche erweisen sich als Bumerang: Weil ein unreflektierter Zugang naiv wäre, müssen Wagner-Konzerte in Israel (wie der aktuelle Versuch) auch eine selbstreflexive Note ausstrahlen. Das lädt die Sache aber politisch auf - und zieht bis heute einen Eklat nach sich. Aber vielleicht setzt sich eines Tages auch in Israel die Erkenntnis durch, dass diese Musik weder mit Wagners Antisemitismus noch jenem der Nazis gleichzusetzen ist. Es wäre ein später Sieg über die Peiniger des jüdischen Volkes.