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Wagner-Rebellion schürt Sorge über Sicherheit von Atomwaffen

Von Ronald Schönhuber

Politik

Wagner-Söldner haben am Weg nach Moskau auch eine Stadt unter Kontrolle gebracht, in deren Nähe Nuklearwaffen lagern.


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Moskau. Als Jewgeni Prigoschin am Samstagmorgen die Kontrolle über Woronesch vermeldete, schien dies nicht viel mehr als ein weiterer Zwischenstopp auf dem Blitzmarsch seiner Wagner-Söldnertruppe. Alle Augen waren auf den weiteren Vorstoß Richtung Moskau gerichtet, die Frage, wann die Rebellenarmee die russische Hauptstadt erreicht, dominierte die internationalen Schlagzeilen.

Das knapp eine Million Einwohner zählende Woronesch ist allerdings nicht nur ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt auf halbem Weg von Rostow am Don nach Moskau. Die rund 50 Kilometer außerhalb gelegene Einrichtung Woronesch-45 ist auch eine von zwölf Militärbasen, in denen die russische Armee taktische Nuklearwaffen gelagert hat. Von hier aus werden die Atomwaffen dann im Fall des Falles an speziellen Einsatzzentren geliefert, die diese dann kampfbereit machen und an bestimmte Armeeeinheiten überstellen.

Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass sich Prigoschin tatsächlich der in Woronesch-45 gelagerten Nuklearwaffen bemächtigen wollte. Die Einnahme von Woronesch durch die Wagner-Truppe und die spätere Übergabe der Stadt an Einheiten des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow lässt in westlichen Sicherheitskreisen aber dennoch dunkle Erinnerungen an den Zerfall der Sowjetunion aufkommen, als nicht ausgeschlossen werden konnte, dass Teile des riesigen Nukleararsenals in falsche Hände fallen. "Du willst wissen, wer die Kontrolle über die Atomwaffen besitzt, weil es die Sorge gibt, dass Terroristen oder Leute wie Kadyrow möglicherweise hinter ihnen her sind, um sie als Druckmittel einzusetzen", sagt Daniel Hoffmann, der viele Jahre lang das CIA-Büro in Moskau geleitet hat, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Kaum noch Informationen

Information über den Zustand der russischen Nuklearwaffen und die dazugehörigen Kommandostrukturen zusammenzutragen gehört laut Insidern nach wie vor zu den Prioritäten der CIA-Aktivitäten in Russland. Mit dem von Präsident Wladimir Putin im Vorjahr angeordneten Ausstieg Russlands aus den vertraglichen Verpflichtungen des New-Start-Abkommens ist die Arbeit für die US-Nachrichtendienste aber deutlich schwieriger geworden. US-Vertreter dürfen seither keine Nuklearwaffen-Stützpunkte mehr inspizieren, die Regierung in Washington ist damit vor allem auf Satellitenbilder angewiesen, um die Sicherheit von Atomwaffenlagestätten und die Verlegung von Gefechtsköpfen einschätzen zu können. "Durch die Abkommen hat es ein großes Maß an Transparenz gegeben, das ist nun alles weg", sagt Hoffman.

Sorgen macht Hoffman und anderen ehemaligen CIA-Mitarbeitern in diesem Zusammenhang vor allem auch, dass es für den Westen so gut wie nicht einzuschätzen wäre, wie sich rivalisierende Fraktionen verhalten, wenn sie bei einem Aufflammen innerrussischer Konflikte in den Besitz von Nuklearwaffen gelangen. "Der Westen könnte mit allem Möglichen erpresst werden. Und diese Leute spielen mitunter nach anderen Regeln, als es Putin bisher getan hat", sagt Hoffmann. So habe der russische Präsident zwar bisher häufig mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, aber dann keine weiteren Eskalationsschritte folgen lassen.