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Wagte Georgien einen Präventivschlag?

Von Karl Graber

Gastkommentare

Für den früheren deutschen Außenminister Joschka Fischer ist Georgiens Präsident Michail Saakaschwili ob seines Versuchs, die abtrünnige Provinz Südossetien (und vielleicht auch Abchasien) mit Waffengewalt, aber unzulänglichen Mitteln vor den Augen ihrer Schutzmacht Russland "heimzuholen", ein verantwortungsloser Narr. Und es dürfte in Europa wie in den USA wenige Außenpolitik-Experten und noch weniger Militärs geben, die ihm widersprechen würden - angesichts der für Georgien vernichtenden Ergebnisse dieses Versuchs. Moskau tut alles, um die Weltöffentlichkeit in dieser Meinung zu bestärken. Die EU scheint dem allen nicht ganz zu trauen und will prüfen lassen, wer denn nun die Georgien-Krise wirklich ausgelöst hat.


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Vielleicht hat Brüssel so unrecht nicht. Der Umfang der von Moskau im Kaukasus konzentrierten Militärmittel und die Wucht des russischen Gegenschlags sprächen durchaus dafür, dass Tiflis - auch im Wissen um die Aussichtslosigkeit - einen Präventivschlag gewagt haben könnte, um ein russisches Vorhaben nach dem Muster, das die Sowjets 1940 in den drei baltischen Staaten durchexerzierten und das zu deren gewaltsamen Eingliederung in die UdSSR führte, zu stören.

So gesehen wäre Saakaschwilis Vorgehen nicht nur nachvollziehbar und auch nicht gänzlich erfolglos. Denn aus seinem Wunsch, dass er gestürzt und sein Regime durch ein Russland-freundliches (besser: -höriges) ersetzt werde, macht Moskau kein Hehl. Nur das in eigener Regie manu militari, hinter verhängter Bühne ohne weltpolitisches Aufsehen durchzuexerzieren, ist Moskau für geraume Zeit erschwert, wenn nicht verunmöglicht.

Saakaschwili und Wladimir Putin, jeder auf seine Weise, haben die Weltöffentlichkeit alarmiert - vor allem Moskaus "nahes Ausland" im Baltikum, Rumänien, Moldawien, die Ukraine und die mittelasiatischen Nachfolgestaaten. Alle haben russische Minderheiten im Land, die russische Pässe und ihre Rückkehr in den Schoß Moskaus gewiss nicht ablehnen würden. Die EU wurde auf unsanfteste Weise aus ihren Träumen vom friedlichen Wettbewerb mit einem demokratisch geläuterten Russland aufgestört und mit machtpolitischen Realitäten konfrontiert, denen sie so, wie sie ist, nicht gewachsen ist. Sie wird Moskau weiterhin konsequentem - gemeinschaftlichem! - Druck aussetzen müssen. Wenn nicht, wird sie eines nicht fernen Tages ihre Kooperation mit Moskau haben - zu den Bedingungen Moskaus. Allein dies öffentlich gemacht und alle Welt mit der Nase auf diese Wirklichkeit gestoßen zu haben, entlastet Saakaschwili und erlaubte es auch, sein eigenwilliges Vorgehen zu rechtfertigen. Und die "Staatengemeinschaft" täte gut daran, alles, was vom Kreml kommt, auf der Grundlage dieser Erfahrung zu bewerten.

Karl Graber war Ressortchef Wirtschaft bei der "Presse"

und Österreich-Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung".