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Wahl in der Ukraine: Aus Freunden wurden Feinde

Von Gregor Razumovsky

Gastkommentare

Wenn die ukrainischen Wähler kommenden Sonntag zur Wahlurne schreiten, so tun sie dies unter dem Eindruck, sich nicht für den idealen Kandidaten für das Präsidentenamt entscheiden zu dürfen, sondern für das geringste Übel entscheiden zu müssen. Dies wird sich sicher auf die Wahlbeteiligung auswirken, sodass auf Umfragen basierende Prognosen bestenfalls als hoffnungsgetragene Orientierungswerte verstanden werden können. Unbestreitbar scheint jedoch, dass der Amtsinhaber, Wiktor Juschtschenko, mit einem einstelligen Ergebnis rechnen muss.


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Fünf Jahre nach den aufsehenerregenden Präsidentschaftswahlen vom Winter 2004/2005, die Wiktor Juschtschenko das Präsidentenamt beschert und seine damalige Kampfgefährtin Julia Timoschenko zur Premierministerin gemacht haben, ist das Bündnis der "Orangen Revolutionäre" endgültig gescheitert. In zwei zutiefst verfeindete Lager gespalten, treten die einstigen Mitstreiter nun zur Wahl gegeneinander an. Dennoch gilt einzig Wiktor Janukowitsch, der unterlegene Präsidentschaftskandidat von 2004, als ernst-zunehmende Konkurrenz für Timoschenko und scheint, sofern den kursierenden Medienumfragen zu trauen ist, in der Wählergunst sogar zu führen.

Für viele, insbesondere westliche Beobachter ernüchternd, ist das Ergebnis der ersten und wohl auch letzten Amtsperiode von Juschtschenko dennoch kaum überraschend. Zu groß ist die Diskrepanz zwischen den Ankündigungen der "Revolutionäre" von 2005 und der politischen Realität. Von dem geplanten Nato-Beitritt verbleibt nur noch ein fader Nachgeschmack und auch eine Mitgliedschaft in der EU, von Juschtschenko seinerzeit als Nahziel beschrieben, ist in weite Ferne gerückt. So blieb auch der Wahlkampf der vergangenen Wochen von innenpolitischen Themen geprägt. Bekämpfung der Korruption, die sich jedoch kaum ein Mann von der Straße wirklich von seinen Politikern zu erhoffen scheint, Verbesserung der Lage der Pensionisten, aber auch die Misere unterbezahlter Polizei- und Streitkräfte bestimmen die Gespräche.

Vor allem anderen ist es jedoch die Sehnsucht nach Stabilität, die den Wahlkampf beherrscht. Und diese bietet der Pragmatiker Janukowitsch eher als die farbenfrohe, reichlich populistisch agierende Premierministerin. Vor dem Hintergrund der Debatten von vor fünf Jahren ist es nicht ohne Ironie, dass gerade Janukowitsch mit seiner gemäßigten Politik gegenüber Russland, seiner Nato-Skepsis und seinen vorsichtigen Annäherungswünschen an die EU der Wunschkandidat des europäischen Westens sein dürfte. So werden die Hüte neue verteilt. In geradezu Orwellscher Manier gilt es, einen neuen Verbündeten zu bestimmen.

Gregor Razumovsky war Berater des ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko und erstellt derzeit als freier Wissenschafter Polit-Prognosen.