Im Präsidentschaftswahlkampf buhlen die als sicher geltenden Kandidaten für die Stichwahl, Sarkozy und Hollande, um die Stimmen der restlichen Parteien
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Paris/Wien. Zigtausende Menschen werden sich am Wochenende auf den Weg machen, und der, zu dem die meisten kommen, darf sich als Bester, Schönster, Beliebtester und – warum nicht? – sogar schon ein wenig als Präsident der nächsten fünf Jahre fühlen. Die Rede ist von den Wahlkampfveranstaltungen der Superlative in Paris, zu denen die zwei aussichtsreichsten Kandidaten für das Amt des französischen Staatschefs geladen haben: auf der einen Seite der konservative Amtsinhaber Nicolas Sarkozy, auf der anderen sein sozialistischer Herausforderer François Hollande.
Letzterer bat seine Anhänger Ende März zur Esplanade des königlichen Schlosses Vincennes. Treffpunkt: Sonntag, 15. April, um 14 Uhr. Die Rede ist von mehr als 100.000 Menschen, die der Einladung zum Wahlkampfauftritt Folge leisten wollen. Nur eine Woche nach Hollande rief Sarkozy seine Fans zum Wahlkampfauftritt – am selben Sonntag zur selben Uhrzeit. (Sarkozy dazu: "Mir war gar nicht aufgefallen, dass Hollande eine Versammlung geplant hatte.") Nur der Ort ist ein anderer: die Place de la Concorde, der Platz der Eintracht, wo Sarkozy 2007 seinen Wahlsieg als Präsident feierte; dort, wo die Revolutionäre vor 220 Jahren König Ludwig XVI. und seine Frau Marie Antoinette geköpft haben. Immerhin die Erwartungshaltung ist etwas bescheidener als bei der Konkurrenz: 80.000 Getreue werden kommen, schätzt das Kampagnenteam des Präsidenten
Jeder dritte Franzose will nicht wählen gehen
Wer am Ende tatsächlich mehr Anhänger versammelt haben wird, dürfte nie wirklich bekannt werden. Die Polizei will bei den Wahlkampfveranstaltungen kommenden Sonntag keine Personenzählungen durchführen. Doch das ist letztlich ohnehin Nebensache im Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Platzhirsche. Wichtig ist nur, die Anhänger der eigenen Stärke zu versichern.
Was die Wahl am 22. April selbst betrifft, dürfte sich die Motivation in Grenzen halten. Zuletzt hat bei einer Ifop-Umfrage jeder Dritte erklärt, er werde sich nicht daran beteiligen. Bei der Präsidentschaftswahl 2007 lag die Enthaltung bei 16 Prozent.
Glaubt man den Umfragen, wird Sarkozy den ersten Wahldurchgang am 22. April gewinnen, Hollande jedoch die entscheidende Stichwahl am 6. Mai. Doch bis es soweit ist, wird noch viel Wasser die Seine hinunterfließen. Zeit, in der verbissen um jede Stimme gekämpft wird.
Sarkozy will in nächster Amtszeit Finanzloch stopfen
124,5 Milliarden Euro fehlen Frankreich, um in vier Jahren ausgeglichen bilanzieren zu können, sagt Sarkozy. Nach fünf Jahren im Amt als mächtigstes Staatsoberhaupt in Europa will er im Falle einer Wiederwahl in den kommenden fünf Jahren diese Finanzlücke stopfen. Das verspricht er und kündigt Kürzungen an. Kommunen sollen zur Kassa gebeten, Regionen, Departements und Städte dazu gezwungen werden, nur jeden zweiten Beamten, der in Pension geht, zu ersetzen. Eine Schuldenbremse soll in der Verfassung verankert werden. In Zeiten schlechter Wirtschaftsdaten verspricht Sarkozy, alles zu tun, damit sich Frankreichs finanzielle Situation verbessert.
Doch was ihm am meisten hilft, ist ein anderes Thema. Seit den Attentaten von Toulouse vor vier Wochen dominieren Immigration und Sicherheit wieder die Diskussionen der Franzosen. Als amtierender Präsident kann Sarkozy die beste Wahlwerbung für sich machen, indem er nun Tatkraft beweist. So hat er eine Verschärfungen der Terrorabwehr angekündigt; Verhaftungswellen unterstreichen seine Entschlossenheit. Die Zahl der Einwanderer soll halbiert werden, verspricht Sarkozy. Dazu kommt noch eine Prise EU-Kritik: Den Technokraten in Brüssel will er einen Riegel vorschieben, die Beitragszahlungen Frankreichs an die EU einfrieren.
Fischen im Teich der Front National
Immigration und EU-Kritik, das sind eigentlich Stammthemen der rechtsextremen Front National (FN), für die Marine Le Pen kandidiert. Deren Stimmen für sich zu gewinnen, war schon 2007 Teil des Erfolgsrezepts Sarkozys. Mit Wahlkampf am rechten Rand ließ er die Partei, die in der Wahl davor noch einen Kandidaten in der Stichwahl hatte, auf rund 10 Prozent schrumpfen. Derzeit hält Le pen bei fast 16 Prozent. Doch die relative Stärke könnte für Sarkozy diesmal von Vorteil sein. Kommt es zur Stichwahl, werden die Kandidaten die Stimmen der anderen Parteien brauchen, und Sarkozy will im voraussichtlichen Duell mit Hollande die FN-Wähler geschlossen hinter sich wissen.
Was Sarkozy die FN ist, ist Hollande die Linkspartei. Deren Chef Jean-Luc Mélenchon sorgt seit Wochen als aufstrebender Außenseiter für Furore. Mit zuletzt 14,5 Prozent liegt er in Umfragen derzeit auf Platz vier. Die Massen, die Hollande und Sarkozy am Wochenende erwarten, kosten ihn wohl nur ein müdes Lächeln. Mitte März folgten 120.000 seinem Aufruf zum Marsch auf die Bastille in Paris, dem Geburtsort der Französischen Revolution. Mélenchon fordert 1700 Euro Mindestlohn, will alle Banken verstaatlichen und eine hundertprozentige Besteuerung aller Monatseinkommen von mehr als 30.000 Euro.
Hollande schielt auf Themen der Linkspartei
Ganz so bunt treibt es Hollande nicht, doch auch sein Programm hat das Potenzial, Links-Wähler anzusprechen. Er will Einkommen, die eine Million Euro übersteigen, mit 75 Prozent besteuern und die Anhebung des Pensionsantrittsalters von 60 auf (im europäischen Vergleich geringe) 62 Jahre unterbinden. Auch die Finanzwelt bekommt ihr Fett ab. Er werde Spekulanten "keinen Platz lassen", versichert Hollande. "Ich will, dass wir gemeinsam zeigen, in Frankreich, aber auch in Europa, dass den Finanzmärkten die Zügel angelegt werden."
Abseits Mélenchons äugt Hollande auch auf die Grün-Wähler, die sich neben Umweltthemen auch die Abschaffung der Atomkraft auf ihre Fahnen geschrieben haben. Dementsprechend zeigt er Verhandlungsbereitschaft und hat erklärt, das umstrittene AKW Fessenheim schließen zu wollen.
Wieder auf der anderen Seite bietet sich für Sarkozy die Zentrumspartei MoDem als Wählerpotenzial an. Ihrem liberal-konservativen Chef François Bayrou wurde bereits angeboten, im Falle eines Wahlsiegs Sarkozys Premierminister zu werden, munkelt man in Insider-Kreisen. Glaubwürdig wird dies nicht zuletzt dadurch, dass Sarkozy meinte, Präsident und Premier müssten nicht derselben Partei angehören. Bayrou könnte sich schließlich als Königsmacher erweisen. In Umfragen hält er bei 10 Prozent der Stimmen.
Doch ungeachtet all dieser Rechenspiele finden viele Franzosen die Bilanz ihres aktuellen Präsidenten enttäuschend. Hollande wiederum wird davon vermutlich nicht profitieren können, weil ihm nicht zugetraut wird, dass er es besser machen könnte. Und so dürfte am Ende der größte Gewinner die Fraktion der Nichtwähler sein. n
Der nächste Präsident muss sparen