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Wahlbeisitzer werden immer rarer

Von Werner Reisinger

Politik

Für Parteien wird es immer schwieriger, Beisitzer zu nominieren. Experten und Wahlbeobachter raten dazu, das System zu öffnen - und auch parteiferne Beisitzer zuzulassen.


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Die Diskussion schwelt spätestens seit der Anfechtung der Bundespräsidentschaftswahl 2016 durch die FPÖ: In Österreich gibt es Bedarf nach einer Reform des Wahlrechts - und das betrifft vor allem das System der Wahlbeisitzer. Diese werden basierend auf dem letzten Wahlergebnis nach dem d’hondtschen System von den relativ größten Parteien im Wahlsprengel nominiert - in der Regel trifft es vor allem die drei aktuell stärksten Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ. Sie nominieren einen Beisitzer, einen Beisitzer-Stellvertreter und allfällig auch eine Vertrauensperson. Insgesamt besteht eine Sprengelwahlbehörde aus dem Sprengelwahlleiter (im Falle von dessen Verhinderung ist ein Stellvertreter zu bestellen) und drei Beisitzern. Doch Beisitzer und Ersatzbeisitzer zu nominieren wird immer schwieriger, das gibt auch Robert Stein von der Bundeswahlbehörde im Innenministerium offen zu.

Besagte Affäre rund um die Wahlanfechtung 2016 dürfte den interessierten Beisitzern der Parteien nicht gerade einen Anreiz geben, sich zu melden. Im Zuge der Verfahren rund um die Unregelmäßigkeiten ermittelte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bis ins Frühjahr 2018 sowohl gegen Wahlleiter und andere Beamte als auch gegen Beisitzer. 15 Anklagen und Strafanträge wurden gegen insgesamt 25 Personen eingebracht, teils liegen bereits - recht unterschiedliche - Urteile vor. Dass dies zu großer Unsicherheit bei den Beisitzern führt und deren Motivation, sich freiwillig zu melden, sinkt, bestreitet man auch bei den Parteien, beispielsweise bei der SPÖ, keineswegs. Was also tun?

Öffnung des Besitzes?

"Ich würde empfehlen, die Entlohnung für die Wahlbeisitzer deutlich zu erhöhen", sagt Robert Stein. Er erhofft sich dadurch eine höhere Motivation. Weiterführende Kritik an der über die Bundesländer organisierte Wahldurchführung in Österreich ist ihm aber nicht zu entlocken. Dies sei eine politische Frage.

Tatsächlich gab es im Regierungsprogramm der ehemaligen ÖVP/FPÖ-Regierung ein vages Bekenntnis, das Wahlsystem in Österreich zu reformieren. "In Abstimmung mit den Rechtsanwendern sind alle Wahlordnungen auf ihre praktische Umsetzbarkeit zu prüfen und allfällige Adaptionen vorzunehmen", ist dort zu lesen. Auf eine Umsetzung wartet Michael Lidauer schon länger vergeblich.Der studierte Sozialanthropologe ist seit 2003 für internationale Organisationen zu Friedenssicherung und Wahlunterstützung tätig, gemeinsam mit zwei weiteren international erfahrenen Experten hat er sich zur Plattform wahlbeobachtung.org zusammengeschlossen. Mit einer Erhöhung der Zahlungen für die Wahlbeisitzer, die übrigens als Verpflegungsvergütung bei 12 Euro 50 Cent für Frühstück und Mittagessen liegen, sei es nicht getan. Lidauer und seine Kollegen denken weiter. Sie wollen eine Loslösung der Wahlbeisitzer von den Parteien. "Eine Öffnung des Besitzes, gekoppelt an eine Initiative für politische Bildung speziell für demokratische Praxis und Wahlbeteiligung, würde einen großen Mehrwert bringen", sagt Lidauer. Er denkt an ein bundeseinheitlich geregeltes System, das sich sowohl an Parteivertreter als auch an junge Menschen richtet. Wahlbeisitzer könnten - nach entsprechender amtlicher Überprüfung und Schulung - so grundlegende Kenntnisse über den Wahlvorgang erwerben. Das Team von wahlbeobachtung.org arbeitet aktuell an einem Projekt in Kooperation mit der Universität Wien, das nach den kommenden Wahlen am 29. September alle Beisitzer befragen und deren Erfahrungen während des Wahlgangs sammeln soll. Diese sollen dann als Basis für eine breite Diskussion zur Lösung der Probleme dienen.

Zwar gibt es auf der Webseite des Innenministeriums bereits jetzt ein E-Learning Tool für Beisitzer, ob und wie intensiv dieses von den Beisitzern in Anspruch genommen wird, sei aber unklar, sagt der Wahlbeobachter. Lidauer spricht sich auch für eine Vereinheitlichung der Bezahlung der Beisitzer aus. Aufgrund der föderalen Struktur gehen die Beträge, die größere Städte den Beisitzern zusätzlich zahlen, weit auseinander: In Salzburg werden 80 Euro bezahlt, in Wien 45 Euro, und in Bregenz sind es nur 21 Euro, die ein Beisitzer für seinen demokratischen Dienst erhält.

Wahlleiter allein zu Haus

Recherchen der "Wiener Zeitung" zeigen zudem, dass die Auszahlung der Gelder teils unterschiedlich abläuft. So behält beispielsweise die SPÖ die Bezahlung der Beisitzer ein: In Wien wird das Geld vom Magistrat noch während des Wahlvorgangs an die Beisitzer in bar ausbezahlt, das Geld aber von einem SPÖ-Mitarbeiter später am Tag wiederum einkassiert. In Linz wiederum wird kein Bargeld ausbezahlt, die Bezahlung erfolgt per Überweisung. Immer wieder kommt es vor, dass Sprengel am Wahlsonntag gänzlich ohne Beisitzer dastehen. Auch dann aber kann der Wahlvorgang durchgezogen werden, erklärt Robert Stein: "Der Wahlleiter muss dann die Wahlhandlung selbständig durchführen" - was natürlich einen erheblichen Mehraufwand darstellt. "Er muss sich dann Hilfspersonen aus den Gemeinden organisieren und versuchen, die Parteinen anzuhalten, Vertrauenspersonen zu schicken, auch wenn diese nicht nominiert wurden."