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"Wahlbeteiligung ist entscheidend"

Von Arian Faal

Politik
Viel Aufmerksamkeit für Hauptherausforderer Moussavi im Wahlkampf. Foto: ap

Top-Analyst und Khamenei-Vertrauter Amir Mohebbian im "WZ"-Interview. | Präsident hat drei Gegenkandidaten. | "Wiener Zeitung": Wie ist die Stimmung im iranischen Wahlkampf? | Amir Mohebbian: Es gab zunächst die Sondierungsphase, wer wirklich antreten wird. Und es kam anders als alle erwartet haben.


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Die Reformer entschieden durch den Rückzug von Expräsident Mohammad Khatami für die Nominierung zweier Kandidaten, Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karrubi. Bei den Konservativen gab es zunächst den Wunsch, nur den Amtsinhaber Mahmud Ahmadinejad aufzustellen, doch da haben einige in der Partei Widerstand geleistet, und so gibt es mit der Kandidatur von Mohsen Rezai nun auch eine konservative Alternative.

Sie gelten als einer der besten Politologen des Landes. Wird Ahmadinejad das Rennen um die Präsidentschaft gewinnen?

Zumindest hat er ein großes Potential. In diesem Zusammenhang muss man sich einige Fragen stellen: Warum haben die Reformer, die ja eine Wiederwahl Ahmadinejads unbedingt verhindern wollen, einen zweiten Kandidaten aufgestellt? Ist das nicht kontraproduktiv? Dazu gibt es zwei Szenarien: Das erste besagt, dass Karrubi im letzten Augenblick auf seine Kandidatur verzichtet, damit die Reformer geschlossen und mit mehr Stimmenpotential auftreten. Die zweite These jedoch besagt, dass die Kandidatur Karrubis den Reformern gerade hilft, da er populistische Wählerstimmen von Ahmadinejad für sich verbuchen könnte.

Und was sagen die Umfragen für den 12. Juni voraus?

Die Umfragen bescheinigen dem Amtsinhaber den ersten Platz, gefolgt vom Herausforderer Moussavi. Danach kommt lange nichts und erst dann schließen Karrubi und Rezai chancenlos an.

Welche Rolle hat der Innenminister? Er ist ja ein enger Vertrauter Ahmadinejads, kann er einer der Schlüssel zum Wahlsieg sein?

Nein. Der Innenminister kann die Wahl nicht mitentscheiden. Sonst wäre 2005 Rafsanjani und nicht Ahmadinejad Präsident nach der Stichwahl geworden; Khatamis Minister für Innere Angelegenheiten hatte ja offen für Rafsanjani plädiert.

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2005 ist im Iran oft das Wort Wahlmanipulation gefallen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Ich bin der Meinung, dass wir im Iran faire Wahlen durchführen. Eine direkte Wahlmanipulation halte ich für ausgeschlossen. Jedoch gibt es einen Faktor, der wahlentscheidend ist: die Wahlbeteiligung. Wenn nur 20 bis 25 Millionen Menschen zur Urne gehen, dann gewinnt Ahmadinejad ohne Stichwahl gleich in der ersten Runde. Schaffen wir es, 25 bis 30 Millionen Wähler zu mobilisieren, dann kommt es möglicherweise zu einer Stichwahl zwischen Mir Hossein Moussavi und Ahmadinejad. Sind es mehr als 30 Millionen Wähler, die diesmal ihre Stimme abgeben, muss Ahmadinejad um seine Wiederwahl zittern. Für ihn könnte es dann schlecht aussehen.

Drei Instanzen spielen im Wahlkampf eine Schlüsselrolle: Der Wächterrat hat die Kandidaten zu prüfen und trifft die Vorselektion. Doch außer dem Wächterrat gelten die Empfehlungen von Ali Khamenei, dem obersten geistlichen Führer, sowie Ali Hashemi-Rafsanjani, dem iranischen Kardinal Richelieu, als wegweisend. Wie zieht der einstige Staatspräsident Rafsanjani im Hintergrund die Fäden? Welche Rolle hat er?

Rafsanjani ist bei der Wahl im Jahr 2005 Ahmadinejad unterlegen. Das war ein herber Rückschlag. Doch mit seinen vielen Schlüsselpositionen mischt er im iranischen Machtgefüge auch heute noch kräftig mit. Es ist bekannt, dass er angekündigt hat, die Gegner Ahamdinejads, allen voran Mir Hossein Moussavi, zu unterstützen.

Wie sieht es mit der Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Washington und Teheran aus?

Es scheint, als ob US-Präsident Obama daran interessiert ist, gute Beziehungen zum Iran herzustellen. Teheran verweigert keine Verhandlungen, doch mischt sich in all die Euphorie, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, auch reichlich Skepsis, vor allem wegen der Wirtschaftssanktionen und der US-Hilfe für Israel. Andererseits muss man auch sagen, dass zum Beispiel die Neujahrsnachricht Obamas und erste Annäherungsversuche als positive Signale gesehen werden. Man muss sehen, wie ernst er es meint und ob tatsächlich auch Taten folgen.

Zur Person

Amir Mohebbian ist Chefredakteur der iranischen Nachrichtenagentur Arya, Mitglied der Chefredaktion der konservativen Tageszeitung "Resalat" sowie Berater des Obersten Geistlichen Führers, Ali Khamenei.

Als einer der renommiertesten politischen Analysten im Lager der Konservativen hat der studierte Philosoph vor allem für seine lautstarke Kritik am amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinejad Berühmtheit erlangt.

Wissen: Der Wächterrat

(af) Der aus zwölf Mitgliedern bestehende Wächterrat (persisch: Shoraye Negahban) ist bei Wahlen richtungsweisend, da er den Kandidaten die Zustimmung erteilen muss. Heuer hat er aus 475 Bewerbern nur vier Kandidaten zugelassen. Er ist Teil der Regierung und bildet mit dem Revolutionsführer, dem Regierungsteam unter der Führung des Präsidenten, dem Sicherheitsrat, dem Parlament, dem Expertenrat und dem Schlichtungsrat (Vermittlungsinstanz zwischen Regierung und Parlament) das sogenannte "Führungszentrum" Irans.

Die zwölf Sitze im Wächterrat werden für je sechs Jahre mit sechs Geistlichen und sechs Juristen besetzt. Die geistlichen Mitglieder ernennt das geistliche Oberhaupt (Ayatollah Ali Khamenei) direkt, die Juristen werden aus verschiedenen Rechtsgebieten vom Majles (Parlament) gewählt, wobei nur vom Chef der Justiz vorgeschlagene und genehmigte Personen vom Parlament gewählt werden dürfen. Der Chef der Justiz wiederum wird vom Revolutionsführer ernannt. Alle drei Jahre scheidet die Hälfte der Mitglieder per Losverfahren aus. Die Macht des Wächterrates beruht vor allem auf seinem Vetorecht. Er zählt laut Verfassung formell zur Legislative, de facto muss man ihn aber auch der Judikative zurechnen.

Ins Leben gerufen wurde diese Institution am
20. Februar 1980 von Revolutionsführer Khomeini. Der Wächterrat hat die Aufgabe, Parlamentsbeschlüsse binnen zehn Tagen auf ihre Übereinstimmung mit den Prinzipien des Islam und der iranischen Verfassung zu überprüfen. Sind Widersprüche erkennbar, wird der Gesetzesvorschlag zurückgewiesen. Ferner überwacht er die Qualifizierung und Zulassung der Präsidentschaftskandidaten, der Kandidaten für den Expertenrat, der Kandidaten für das Majles und steht in direktem Kontakt mit dem Revolutionsführer.

Ein zentrales Beobachtungsgremium, vom Wächterrat ernannt, überwacht alle Wahlprozesse und gibt das Wahlergebnis bekannt. Entscheidungen, die die Verfassung betreffen, bedürfen nach Artikel 98 einer Dreiviertelmehrheit des Wächterrats.