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Belgrad - Im demokratischen serbischen Parteienlager hatte Montag niemand Grund zur Freude. Dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica, Sieger in drei Urnengängen, blieb das Amt des serbischen Präsidenten wieder versagt. Sein größter Rivale, der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic, dürfte schon bald Kostunicas Rache zu spüren bekommen.
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Im Lager Kostunicas steht es außer Zweifel, dass die Schuld für das neuerliche Scheitern der Präsidentenwahl bei Djindjic liegt. Seine Regierung hatte nach dem ersten Wahlgang am 13. Oktober zwar eine Änderung des Wahlgesetzes vorgeschlagen, die nach wie vor obligatorische Beteiligung von mindestens einer Hälfte der Wahlberechtigten verursachte nach Ansicht der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) zusammen mit den mangelhaften Wählerverzeichnissen aber das Scheitern.
Der Belgrader Analytiker Vladimir Goati sieht die Erfolgsaussichten einer Klage Kostunicas gegen die Wählerverzeichnisse beim obersten Gericht allerdings skeptisch. Die Partei des jugoslawischen Staatschefs, der die Probleme mit den angeblich rund 450.000 "Karteileichen" natürlich auch längst bekannt waren, hatte seit der Wende in Belgrad vor zwei Jahren auch nichts unternommen, um das Problem zu lösen. Djindjic natürlich auch nicht.
Nun scheint Serbien vor zwei möglichen Szenarien zu stehen. Das pessimistischere scheint dabei realistischer zu sein. Demnach wird die DSS eine sofortige Wahlwiederholung fordern, wobei deren erneutes Scheitern so gut wie sicher ist. Ihre Parlamentsabgeordneten werden in Partnerschaft mit einer Vielzahl kleiner Parteien aus der einstigen Demokratischen Opposition Serbiens DOS (neun von 17 Parteien hatten den Wahlkampf Kostunicas direkt unterstützt), aber auch der Opposition dazu zu nutzen versuchen, die Parlamentsarbeit lahm zu legen. Die erste Kraftprobe dürfte schon heute, Dienstag, erfolgen, wenn wieder die Budgetdebatte auf der Tagesordnung steht.
Zusätzlich ist demnächst vom serbischen Parlament auch die neue Verfassung des Staatenbundes "Serbien-Montenegro" zu erlassen. Gelingt es der DSS, die Regierung zu stürzen, so wird es nicht nur Präsidenten-, sondern in nächster Zeit auch Parlamentswahlen geben. In der Zwischenzeit werden alle Reformprozesse stocken. Im Lager des Ultranationalisten Vojislav Seselj, der einst mächtige Regimeparteien - die Sozialisten von Slobodan Milosevic und die Neokommunisten von dessen Gattin Mira Markovic - um sich geschart hat, würde man sich angesichts eines solchen Szenarios mit Vorfreude auf neue Wahlerfolge die Hände reiben.
Das zweite, weniger realistische Szenario würde eine Einigung zwischen den rivalisierenden DOS-Parteienlagern voraussetzen. Dies würde ermöglichen, dass zuerst die Verfassung des neuen Staatenbundes und kurz danach auch eine neue serbische Verfassung erlassen wird. Die Einigung soll auch die Frage der Präsidentenwahl erfassen. Bei den aktuellen Gesetzesbestimmungen gibt es kaum Aussichten, dass eine weitere Wahl erfolgreich wird, wenn sie nicht alle Parteien des demokratischen Lagers unterstützen. Eine andere Lösung wäre die Aufschiebung der Präsidentenwahl bis zur Erlassung der neuen serbischen Verfassung. Es gibt nämlich auch die Idee, dass der Präsident in Zukunft im Parlament gewählt werden soll. Auf die Verfassung müssten natürlich auch vorgezogene Parlamentswahlen folgen. Sie sind nicht mehr zu vermeiden.
Dieser vernünftigere Ausweg aus der Krise dürfte nach Ansicht von Belgrader Analytikern für die Rivalen Kostunica und Djindjic, die in den letzten Monaten heftige Beleidigungen ausgetauscht hatten, allerdings kaum noch denkbar sein.
Mit der niedrigen Wahlteilnahme sind sowohl Kostunica wie auch Djindjic von den Wählern, die über deren anhaltende Streitigkeiten tief enttäuscht sind, bestraft worden. Kostunica wie auch Djindjic sollten sich über die Zugewinne des Ultranationalisten Seselj ernste Sorgen machen.