Zum Hauptinhalt springen

"Wählen allein reicht im 21. Jahrhundert nicht mehr aus"

Von Katharina Schmidt

Politik

Experte für Volksgesetzgebung, Skepsis bei Verfassungsrechtler Funk.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Berlin/Wien. Während die Parteien einander mit Vorschlägen für direkte Demokratie überbieten und immer mehr Initiativen wie MeinOe mitmischen wollen, würde nur ein Blick zum großen Nachbarn genügen. In Deutschland gibt es in allen Bundesländern die Möglichkeit zu einer partizipativen Mitbestimmung der Bevölkerung - wenn auch unterschiedlich stark ausgestaltet.

Konkret handelt es sich dabei um eine dreistufige Volksgesetzgebung: Jede Gruppe oder Nichtregierungsorganisation kann ein Thema auf den Tisch bringen und dafür Unterschriften sammeln. Findet das Anliegen ausreichend Unterstützer, kann ein Volksbegehren stattfinden. Die Hürden liegen hier je nach Bundesland zwischen 4 und 20 Prozent. Als letzte Stufe gibt es den Volksentscheid: Über den bereits ausformulierten Gesetzesvorschlag wird abgestimmt, das Parlament kann einen Gegenvorschlag vorlegen.

Die Initiative "Mehr Demokratie" fordert ein bundesweit einheitliches System, wie Vorstandssprecher Michael Efler erläutert. Die Gefahr, dass durch mehr direkte Demokratie die Politik ihre ureigenste Aufgabe, nämlich legislativ tätig zu werden, auf die Bevölkerung überwälzt, sieht er nicht. Die Initiative müsse ja aus der Bevölkerung selbst kommen.

Auch will er die repräsentative Demokratie nicht abschaffen - es gehe vielmehr darum, "sie da zu korrigieren, wo sie sich von der Mehrheit der Bevölkerung entfernt." Mit einer Stimmabgabe am Wahltag könne man in Zeiten immer unvorhersehbarer Politik nur noch wenig beeinflussen. "Wählen alleine reicht in einer modernen Demokratie des 21. Jahrhunderts nicht mehr aus", sagt er.

Korrektur für die Politik

Allerdings müsse auch ein Gesetz, das aus der direkten Demokratie heraus entstanden ist, durch das Parlament korrigierbar bleiben. "Wenn ein Gesetz nicht funktioniert, muss es verändert werden können", erläutert Efler. Genauso dürfen Volksentscheide nicht außerhalb der Rechtsordnung getroffen werden: Bestimmte Fragen, über die auch das Parlament nicht oder nicht mit einfacher Mehrheit entscheiden darf, müssten ausgeklammert bleiben - Verfassung, Europarecht oder internationale Rechtsvorschriften. Der FPÖ, die das Volk auch über die Grundlagen der EU abstimmen lassen will, attestiert Efler eine gewisse Naivität.

Generell müssten die Inhalte der Volksbegehren auf ihre Kompatibilität mit der Rechtsordnung geprüft werden, bevor sie zur Abstimmung gelangen. Trotz dieser Einschränkungen glaubt Efler aber fest daran, dass mehr direkte Demokratie automatisch zu mehr Demokratie an sich führt. "Man sollte die Leute nicht für zu leicht manipulierbar oder zu blöd halten", meint der deutsche Experte.

Weniger euphorisch ist da der Wiener Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. Die bisherigen Vorschläge in diesem Bereich hält er für zu unausgegoren. "Ich habe meine Zweifel, ob Österreich reif dafür ist", betont Funk im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es fehle die Tradition, manche Parteien könnten ein solches System für ihre Zwecke ausnutzen.

Gefahr für die Regierbarkeit

Und dann "besteht die Gefahr, dass die Regierbarkeit Schaden nimmt" und Dinge zur Abstimmung gebracht werden, die "nicht abstimmungstauglich" sind. Dazu zählt Funk das zuletzt von Verteidigungsminister Norbert Darabos ins Rennen gebrachte Votum über die Abschaffung der Wehrpflicht: "Das Ergebnis wäre abhängig von der jeweiligen Stimmung."

Von allen Varianten für mehr Demokratie hält er die dreistufige Volksgesetzgebung noch für die beste. Auch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hat sich mit ihrem Modell Anleihen bei den Deutschen genommen. Ob das Modell ernsthaft diskutiert wird und nicht wie eine andere Leihgabe (U-Ausschüsse als Minderheitenrecht) in der Schublade liegen bleibt, wird sich weisen.