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Wählen im Armenhaus Europas

Von Zarko Radulovic

Europaarchiv

Premier Thaci wird auch künftig als starker Mann im Kosovo gehandelt. | Wirtschaftliche Probleme prägen die Parlamentswahl. | Pristina/Wien. Erstmals seit der einseitigen Ausrufung der Unabhängigkeit im Februar 2008 finden am Sonntag im Kosovo Parlamentswahlen statt. Der Urnengang kommt dem bisherigen Premier Hashim Thaci nicht ungelegen, der mit seiner Demokratischen Partei (PDK) als Favorit auf den Wahlsieg gilt. In allen Umfragen liegt die PDK um einige Prozentpunkte vor ihrem bisherigen Regierungspartner und Hauptkonkurrenten, der Demokratischen Liga (LDK).


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Die einst allmächtige LDK kriselt vor sich hin. Zwar steht mit Isa Mustafa, dem Bürgermeister von Pristina, einer der beliebtesten Politiker an der Parteispitze, aber für große Ernüchterung sorgte Uke Rugova. Der Sohn des äußerst populären Ex-Präsidenten Ibrahim Rugova entschloss sich überraschend, der LDK, die sein verstorbener Vater gegründet hatte, den Rücken zu kehren und ein etwas ungewöhnliches Bündnis mit der Allianz für die Zukunft (AAK) einzugehen. Die AAK bekämpfte bisher die LDK mit allen Mitteln. Und deren Vorsitzender Ramush Haradinaj wartet derzeit im Gefängnis des UNO-Kriegsverbrechertribunals auf seinen Prozess.

Wahlzuckerl überall

Die vorgezogenen Wahlen wurden notwendig, nachdem die PDK-LDK-Koalition im Oktober zerbrach. Aber bereits einen Monat zuvor gab es die grundsätzliche Einigung, vorgezogene Wahlen durchzuführen, nachdem der damaligen LDK-Chef Fatmir Sejdiu als Kosovo-Präsident zurücktrat. Einige Experten sprechen von einem politischen Schachzug von Thaci, der angesichts des schwächelnden Konkurrenten die Dominanz seiner Partei weiter ausbauen wolle.

Thaci stellt den Kosovo als Erfolgsstory dar. Er habe sein Land in die Unabhängigkeit geführt und er werde sein Land in die EU und Nato führen, donnert er im Wahlkampf. Zudem verspricht er den Bürgern neue Arbeitsplätze, Lohnerhöhungen und visumfreie Reisen in die EU innerhalb von 15 Monaten. Aber nicht nur Thaci ist beim Verteilen von Wahlzuckerln großzügig. Alle Parteien sind bei Versprechungen nicht unbedingt sparsam.

Dabei ist die Situation im Kosovo alles andere als rosig. Der politische Status ist noch immer nicht völlig geklärt. Bisher wurde die Unabhängigkeit von 72 Staaten anerkannt - weit weniger, als sich Pristina und die Unabhängigkeits-Befürworter erhofften. Seit 1999 wurden etwa vier Milliarden Euro an Hilfsgeldern in den Kosovo gepumpt. Der wirtschaftliche Erfolg ist aber mehr als bescheiden. Laut Weltbank leben 52 Prozent der Bevölkerung in Armut - mit weniger als zwei Euro am Tag. Etwa 50 Prozent der Bürger sind arbeitslos. Hinzu kommt, dass der Kosovo die jüngste Gesellschaft in Europa stellt. Jährlich drängen tausende junge Menschen in den Arbeitsmarkt. Doch Jobs sind und bleiben rar. Experten warnen daher vor sozioökonomischen Protesten und Unruhen.

All diese Daten spielen Albin Kurti, dem Chef der ultranationalistischen "Vetevendosje" (Selbstbestimmung), in die Hände. Als Populist prangert Kurti die großteils aus der nicht minder nationalistischen "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK) hervorgegangene politische Führungsriege und deren in kurzer Zeit sichtbar gewordenen Reichtum an. Als Nationalist spricht er sich gegen die Nato-Präsenz im Kosovo und gegen jegliche Verhandlungen mit Belgrad aus. Zudem setzt sich Kurti offen für eine Vereinigung der albanisch besiedelten Gebiete in Südosteuropa ein.

Serben sind gespalten

Nach Umfragen dürfte "Vetevendosje" zur drittstärksten politischen Kraft mutieren. Die Macht wird laut politischen Beobachtern bei Thaci bleiben. Er scheint bereits eine Koalition mit der Allianz Neues Kosovo (AKR) des Multimillionärs Behgjet Pacolli vereinbart zu haben. Zudem dürfte er von einigen Minderheitenparteien, auch jenen der Serben, unterstützt werden - und das müsste laut Umfragen für eine Mehrheit reichen.

Die Kosovo-Serben, die mit insgesamt acht Parteien antreten, sind bei dieser Wahl gespalten. Jene etwa 60.000 Serben, die im Inneren des Kosovo leben, dürften diesmal vermehrt zur Wahlurne schreiten - auch deshalb, weil Belgrad erstmals nicht dezidiert zu einem Boykott aufrief. Hingegen zeigen die etwa 80.000 Serben, die im Norden des Kosovo leben, so gut wie kein Interesse an der Wahl. Nördlich des Flusses Ibar in der Stadt Kosovska Mitrovica, wo die Serben eine kompakte Mehrheit stellen, haben die Behörden aus der Hauptstadt Pristina weiterhin kaum Einfluss.