Bei den Gemeinderatswahlen könnten dem ÖVP-Langzeitbürgermeister neben der FPÖ die KPÖ und ein Großprojekt gefährlich werden.
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Graz. Es ist in Österreich zuletzt fast Usus geworden, vor Wahlen mit Umfragen sparsam umzugehen. Über Wahlumfragen stolpert man zu leicht, als dass sich Meinungsforschungsinstitute oder Zeitungen ihren Ruf damit ruinieren lassen wollen. Auch vor den am Sonntag stattfindenden Gemeinderatswahlen in Graz suchte man vergebens Zahlenspiele zur Einschätzung der Lage. Erwartungsgemäß gilt Graz mit seinen politischen Eigenheiten doch traditionell als unberechenbar.
Aber dann veröffentlichte die ÖVP mit Bürgermeister Siegfried Nagl diese Woche eine Exit-Poll vom vorgezogenen Wahltag am 27. Jänner. 750 Wähler wurden vom "Institut für angewandte Tiefenpsychologie" befragt, das regelmäßig für den seit 14 Jahren regierenden Bürgermeister arbeitet. Entgegen bisheriger Vermutungen sah es dort nicht nach der FPÖ als neue Nummer zwei hinter Nagl aus, sondern nach einer Prolongierung des Grazer Politphänomens KPÖ, der 23 Prozent prophezeit wurden. Nagl hielt in der Befragung sein Ergebnis von 2012 mit 33 Prozent, FPÖ, Grüne und SPÖ galoppierten mit 14 Prozent im Gleichschritt.
Kraftwerksprojekt als Bruch
Die ÖVP reagierte mit Warnungen vor einer links-linken Mehrheit von KPÖ, Grünen und SPÖ sowie einem kommunistisch regierten Graz. Und damit vor jener Partei, mit der sie bis vor Kurzem noch eine Koalition bildete.
Im November 2016 beendeten Bürgermeister Siegfried Nagl und seine Stellvertreterin Elke Kahr von der KPÖ ihre Zusammenarbeit vorzeitig, weil Kahr die Zustimmung zum Jahresbudget 2017 an die Durchführung einer Volksbefragung zum umstrittenen Murkraftwerk im Süden von Graz koppelte. Eine Volksbefragung, die der Magistrat Graz der Bürgerbewegung "Rettet die Mur" aus formalrechtlichen Gründen verwehrte. Die vorgezogenen Neuwahlen waren perfekt.
Die KPÖ entwickelte sich bereits unter Ernest Kaltenegger in Graz ab Anfang der 80er Jahre zu einer Alternative für Protestwähler und Menschen, denen leistbares Wohnen und soziale Gerechtigkeit besonders am Herzen liegen. Kalteneggers Weg als Helfer des kleinen Mannes, der den Großteil seiner Politikerbezüge direkt an notleidende Menschen spendete, ließ ihn 1998 zum Wohnungsstadtrat aufsteigen. Seine Arbeit wurde über Parteigrenzen hinweg geschätzt - und wird seit seinem gesundheitlichen Rückzug aus der Politik im Jahr 2009 von Elke Kahr und ihrem Team weitergeführt.
KPÖ als Helfer der Menschen
Die Realpolitik der Grazer KPÖ ist mehr links als kommunistisch ideologisiert und macht vor allem rasche, finanzielle Soforthilfe für notleidende Menschen möglich, die in Österreich nicht einmal die Caritas im Programm hat. Während die KPÖ damit auch im FPÖ-Teich fischt und sich auch diesmal mit den Blauen um Platz zwei duellieren dürfte, war Siegfried Nagl im Wahlkampf nicht nur wegen KPÖ und FPÖ nervös. Zu drei Demos riefen die Gegner des Murkraftwerks, dessen Baustart Anfang Jänner bereits erfolgt war. Es ist nicht so, dass Nagl beim Thema Murkraftwerk die ganze Stadt gegen sich wüsste, aber es ist ein Thema, das Gegner aufwühlt und das Befürworter eher nüchtern akzeptieren. Daher dürfte der Bau des Murkraftwerks Nagl schaden als nützen.
Gerade, wenn eine abgelehnte Volksbefragung daran hängt. Und vielleicht sogar einmal mehr: gerade in Graz. Denn mit Gustav Scherbaum von der SPÖ wurde in den 1970ern schon einmal einem Grazer Bürgermeister ein Großprojekt zum Verhängnis. Damals sammelte eine Bürgerbewegung 37.000 Unterschriften gegen eine Autobahntrasse durch die Bezirke Eggenberg und Straßgang, Scherbaum versuchte die Befragung ebenfalls zu verhindern.
Heinz Wassermann ist Politikexperte am Institut "Journalismus und Public Relations" der FH Joanneum. Für ihn steht fest: "Die Ablehnung gegenüber dem Murkraftwerk ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Das Thema könnte Nagl direkt schaden." Aber es gibt auch einen Unterschied zu Scherbaum. "Damals gab es eine Kampagne der ,Kleinen Zeitung‘ gegen die Trasse, beim Murkraftwerk sind die steirischen Leitmedien mit an Bord."
Andere Themen konnten sich im kurzen, intensiven Wahlkampf des vergangenen Monats kaum durchsetzen. Ob Feinstaub, öffentlicher Verkehr oder Sicherheit -die Parteien waren sich weitestgehend einig, selbst die FPÖ mit Spitzenkandidat Mario Eustacchio fand mit dem Ausländerthema trotz klarer Botschaften ("Fremd in der eigenen Stadt?" oder "Wir wollen unser Graz zurück") weniger Beachtung als üblich.
Flügelkämpfe in der SPÖ
Und nicht einmal das Überlaufen des ehemaligen SPÖ-Graz-Klubchefs Michael Großmann zur ÖVP interessierte die Bürger besonders. Auch deshalb, weil die SPÖ in Graz angesichts der starken KPÖ und solider Grüner stetig verliert, dass sie diesmal sogar unter die zehn Prozent rutschen könnte. Spitzenkandidat der Sozialdemokraten ist Michael Ehmann, der im April 2016 mit 100 Prozent zum neuen Stadtparteichef gewählt wurde. Er scheint einen leichten Aufwind bei den Genossen ausgelöst zu haben, die aufgrund von Flügelkämpfen und wohl auch Personalproblemen in den vergangenen Jahren wenig Grund zur Freude hatten.
Mit den Piraten gab es in der vergangenen Periode eine weitere Grazer Besonderheit. Klammert man jene drei Listen aus, die keine Rolle spielen dürften, wird es just bei den Kleinparteien - ganz stadtuntypisch - am Sonntag sogar bundespolitisch relevant. Denn erstmals treten in Graz die Neos an. "Die Neos stehen vor dem Dilemma, dass sie im urbanen Graz eigentlich in den Gemeinderat einziehen müssen. Schaffen sie es nicht, ist bundesweit Feuer am Dach", sagt Politikexperte Wassermann.
Koalitionen völlig offen
Die Neos könnten den Grazer Gemeinderat noch bunter machen als er ohnehin schon ist. "Bunt und bockig", beschreibt Wassermann die Grazer Wählerschaft. Und die Stichworte könnten auch für die Koalitionsbildung nach der Wahl passen. Das Murkraftwerk alleine hat das Potenzial, die meisten Optionen schon vorab auszuschließen. Für die Staustufe sind neben der ÖVP auch FPÖ und SPÖ, dagegen sind KPÖ, Grüne und Piraten. Die Neos sind zumindest für die Volksbefragung. Dennoch kann nicht vorhergesagt werden, wie sich im politisch unberechenbaren Graz die Regierungsmehrheit zusammensetzen wird.