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Bruno Kreisky soll einmal - mit Blick auf die Zweite Republik, den Staatsvertrag von 1955 und die immer-währende Neutralität - von einem halb-souveränen Staat gesprochen haben. Einige tausend abgeschlossene Staatsverträge und den EU-Beitritt 1995 später stellt sich die Frage nach dem Charakter unseres Staatswesens in einer gänzlich neuen Qualität. Der Verfassungsrechtler Manfried Welan hat schon 1999 auf die Frage "Sind wir noch ein Staat?" mit einem unbestimmten "Ja, aber" geantwortet. Und heute, nach Inkrafttreten des Maastricht- und Lissabon-Vertrags sowie nach den politischen Erschütterungen der Schuldenkrise?
Österreichs Parteien tangieren solche Fragen grundsätzlich nicht - und entsprechend finden sich von dieser Diskussion nicht einmal Spurenelemente in der aktuellen Wahlkampfauseinandersetzung. Man fürchtet sich vor einer ehrlichen Auseinandersetzung darüber, wie viel Politik tatsächlich noch im Hohen Haus am Ring gestaltet werden kann.
Dafür gibt es sogar einige gute Gründe. Es ist zu einer modischen Attitüde geworden, den Staaten jegliche Gestaltungsmacht abzusprechen; an deren Stelle treten dann eben, je nach ideologischer Verortung, Konzerne, Finanzmärkte oder "Europa" als Chiffren.
Natürlich ist der Autonomieverlust nationaler Politik ein Faktum, genauso übrigens wie die Souveränitätsillusion vergangener Jahrzehnte. Aber solange es keinen funktionierenden und - dies vor allem - verfassungsrechtlich ausgestatteten Ersatz für die nationale politische Bühne gibt, solange wäre es höchst fahrlässig, die bestehende politische Ordnung von Parlament, Regierung und Parteien bereits für obsolet zu erklären.
Der Satz "In Österreich wird ohnehin keine Politik mehr gestaltet" ist daher nicht nur falsch, sondern geradezu fahrlässig. Was wäre denn auch sonst europäische Politik, deren Herz in Theorie und Praxis nach wie vor der Rat der europäischen Regierungschefs ist, ohne die Legitimation durch die nationalen Wähler? Nichts.
Genauso fahrlässig ist es allerdings, den Wählern vorzugaukeln, bei Nationalratswahlen werde über das Schicksal des Euro abgestimmt. Man muss Österreich und seine politischen Institutionen nicht kleiner machen, als sie sind, aber sie zu Riesen aufzublasen, ist genauso abwegig.