Berichte über Benachteiligung der Opposition durch Präsident Janukowitsch.
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Kiew. Vor dem Werksgelände des Flugzeugbauers Antonow in Kiew wirkt es ein wenig so, als sei die Zeit stehen geblieben: Verkaufsstand reiht sich an Verkaufsstand, die hingepfropften Container, die den Weg zur Metrostation verstellen, sehen nicht so aus, als seien sie für die Ewigkeit gebaut. In den Schlaglöchern am Gehsteig sammelt sich das Regenwasser. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, Anfang der 1990er Jahre, hatten sich in allen ex-sowjetischen Ländern solche Basare gebildet, ehe sie von großen Einkaufsketten verdrängt wurden. Zwischen die Verkäufer von Schuhen, Kleidung oder Handyzubehör pressen sich dieser Tage auch Wahlkämpfer. Am Sonntag finden in der Ukraine Parlamentswahlen statt, die ersten landesweiten Wahlen seit der Amtsübernahme von Präsident Wiktor Janukowitsch im Jahr 2010. Von dem Urnengang hängt einiges ab - betont zumindest die Opposition in Kiew. Sie beschuldigt den umstrittenen Präsidenten, hinter der Verhaftung seiner Rivalin Julia Timoschenko zu stecken.
Mehr als 5000 internationale Wahlbeobachter haben sich angekündigt, einige sind schon seit Wochen im Land. Sie berichten über Verstöße wie Stimmenkauf, die Benachteiligung der Opposition bei der TV-Präsenz sowie die Verwendung von Haushaltsmitteln durch die regierende "Partei der Regionen", die in den Umfragen vorne liegt. Gemeinsam mit den im Wahlkampf sehr selbstbewusst auftretenden Kommunisten könnte sich für den Präsidenten eine Mehrheit ausgehen. Profitieren wird Janukowitsch laut Peter Nowak, dem Leiter der europäischen Wahlbeobachtermission "Enemo", wohl auch vom neuen Wahlgesetz. Nur noch 50 Prozent der Parlamentsabgeordneten werden am Sonntag über Parteilisten gewählt. Die andere Hälfte der "Werchowna Rada" wird aus Direktkandidaten gebildet, die nach einem Mehrheitswahlrecht ermittelt werden. Meist sichern sich so finanzstarke Kandidaten, die ihren Wahlkreis beackern und der Obrigkeit nahestehen, ihren Sitz.
"Ukraine vor dem Ruin"
Das Direktwahlsystem wird wohl auch dem neuen Überraschungsmann der ukrainischen Politik zu schaffen machen: dem Boxer Vitali Klitschko, der mit seiner Partei "Udar" (Schlag) in den Umfragen bereits auf Platz zwei liegt - vor der etablierten Oppositionspartei "Vaterland" der inhaftierten Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, mit der er, falls sich eine Mehrheit ausgeht, zusammenarbeiten will. Beobachter erwarten, dass Klitschkos Liste gut, seine wenig bekannten Direktkandidaten aber deutlich schwächer abscheiden werden. Unterm Strich würde das für den Neueinsteiger "nur" Rang drei ergeben.
Ob all diese politischen Spiele die Ukrainer noch erreichen, ist mehr als fraglich. Kaum jemand in dem krisengeschüttelten Land glaubt daran, dass eine politische Wende zum Besseren eintreten kann. "Die Ukraine steht kurz vor dem Ruin", meint der Politologe Kyryl Savin. Die in den letzten Jahren halbwegs stabile Währung Grivna soll bald um 30 Prozent zum Euro abgewertet werden, die gesunkene Nachfrage nach Stahl, einem der wichtigsten Exportgüter, hat die Lage zusätzlich angespannt. Nach einem Wachstum von 2,5 Prozent im ersten Halbjahr, das hauptsächlich auf die Investitionen im Zuge der Fußball-EM zurückzuführen war, ist die Wirtschaft im Juli und August um ein Prozent geschrumpft. Bedingung für erneutes Wachstum wäre eine dringende Lösung des Gaskonflikts mit Russland - danach sieht es aber nicht aus: Russland will der Ukraine nur dann einen Nachlass gewähren, wenn es in seinem Zollunionsprojekt mit Weißrussland und Kasachstan mitmacht. Das würde dann aber das Aus für sämtliche EU-Pläne des Landes bedeuten.
Von Europa können viele Ukrainer aber ohnehin nur träumen: "Politik? Ach! Seit 20 Jahren sagt man uns, jetzt wird es besser. Und was passiert? Zu Sowjetzeiten konnte ich wenigstens noch auf die Krim fahren", sagt ein DVD-Händler nahe dem Antonow-Werk. "Seit der Unabhängigkeit geht sich auch das nicht mehr aus, von Reisen über die Grenze ganz zu schweigen." Er zieht an seiner Zigarette, eine kalte Brise weht. Das Schicksal der Millionärin Timoschenko interessiert ihn nicht sonderlich.
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Ukrainer in Österreich
In Österreich leben laut offizieller Statistik mehr als 8000 Personen mit ukrainischen Wurzeln. Die österreichisch-ukrainische Gemeinschaft selbst schätzt die Zahl aber auf mehr als 10.000 Personen. Für die Parlamentswahl am 28. Oktober sind 2500 Personen in Österreich wahlberechtigt. Direkt gewählt werden kann aber ausschließlich in Wien, in der ukrainischen Botschaft (18. Bezirk, Naaffgasse 23). Nähere Informationen finden sich unter www.medienservicestelle.at.