Der charismatische Enrique Pena Nieto wird wohl Mexikos neuer Präsident.
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Mexico-City. Als Felipe Calderon im Februar 2010 nach Ciudad Juarez kam, um sich zu entschuldigen, wurde das zumindest als Versuch einer Wende angesehen. Mit im Gepäck hatte Mexikos Präsident, der zuvor 15 ermordete Jugendliche leichtfertig als Handlager der Drogenmafia abgetan hatte, auch eine neue Strategie im Kampf gegen die Kartelle. Nicht mehr nur rein militärisch wollte Calderon gegen die organisierte Kriminalität in seinem Land vorgehen, sondern dem Verbrechen auch seine Grundlage entziehen. Investitionen in Bildung, Sozialarbeit und Gesundheit sollten verhindern, dass der Beruf des Killers oder Dealers auch in Zukunft eine verlockende Alternative für junge Menschen darstellt.
Genutzt hat das alles trotz des zusätzlichen Einsatzes von 200 Millionen Dollar jedoch wenig. Zwei Jahre nach dem Besuch in Ciudad Juarez und sechs Jahre, nachdem Calderon erstmals zehntausende Soldaten für den Krieg gegen die Kartelle mobilisiert hatte, befindet sich Mexiko noch immer im Würgegriff der Drogenmafia. Mehr als 50.000 Menschen sind seit Calderons Amtsantritt im Jahr 2006 durch den Drogenkrieg ums Leben kommen. Noch immer gibt es täglich Meldungen über Massaker, mit denen sich die verfeindeten Kartelle nicht nur Rivalen vom Leib schaffen, sondern durch besonders grausame Morde auch ein abschreckendes Zeichen zu setzen versuchen. Auch Journalisten und Politiker geraten im Kampf um die lukrativen Schmuggelrouten nach Norden immer wieder zwischen die Fronten.
Wenn die Mexikaner am Sonntag ein neues Staatsoberhaupt wählen, wird es daher im Wesentlichen auch um die künftige Strategie des Landes gegenüber der organisierten Kriminalität gehen. Als aussichtsreichster Kandidat für das Präsidentenamt, für das der konservative Calderon gemäß Verfassung nicht mehr kandidieren darf, gilt nach den jüngsten Umfragen Enrique Pena Nieto. Mit seinen 45 Jahren ist der Ex-Gouverneur des Bundesstaates Mexico der jüngste der drei aussichtsreichsten Bewerber, seine Wahl würde aber gleichzeitig auch die Rückkehr der alten Kräfte an die Macht bedeuten. Als ehemals links-autoritäre Staatspartei hatte Nietos Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) das Land nach dem Ende der mexikanischen Revolution 71 Jahre lang fest im Griff gehabt. Zu einer Wachablöse kam es erst, als Calderons Vorgänger Vicente Fox mit seiner Partei der Nationalen Aktion (PAN) im Jahr 2000 das Ruder mit dem Versprechen übernahm, das durch Nepotismus, Klientelismus und Korruption auf allen Ebenen verseuchte Politsystem zu reformieren.
Konkurrenten weit zurück
Genutzt hat dem charismatischen Pena Nieto im Wahlkampf vor allem sein jugendliches Image, mit dem er Millionen Wähler überzeugen konnte, die sich kaum noch an jene Zeit erinnern können, in denen die PRI so gut wie alle Sektoren in Mexiko dominierte. Die massive Unterstützung durch den Mediengiganten Televisa und eine Frau, die ihr Geld als Telenovela-Star verdient, taten das Übrige, um den Beliebtheitswerten von Pena Nieto nach oben zu vverhelfen.
Doch überzeugende Antworten, wie es im Drogenkrieg weitergehen soll, hat auch der 45-Jährige, der laut Umfragen bei 44 Prozent der Stimmen hält, nicht geliefert. Noch mehr Geld lautet die Devise, mit der Pena Nieto dem organisierten Verbrechen Einhalt gebieten will. Nicht nur politische Gegner kritisieren den PRI-Kandidaten daher als politisches Leichtgewicht, das wenig von Zahlen und Fakten hält, dafür aber mit gutem Aussehen und unrealistischen Heilsversprechen punktet.
Viel bessere Antworten zur Lösung des Drogenkriegs haben allerdings auch Pena Nietos schärfste Konkurrenten Josefina Vasquez-Mota und Andres Manuel Lopez Obrador nicht parat. Vasquez-Mota, eine ehemalige Ministerin Calderons, die derzeit bei 28 Prozent hält, plädiert für mehr Polizisten, die die Streitkräfte ersetzen sollen. Lopez-Obrador, der als ehemaliger Bürgermeister von Mexico-City für die links-liberale PRD antritt, setzt auf jenes Konzept, mit dem Calderon ab 2010 erfolglos versucht hatte, das Ruder herumzureißen: Durch die Bekämpfung der Armut und der Ankurbelung des Wirtschaftswachstums sollen der Kriminalität die Grundlagen entzogen werden. "Ich glaube nicht, dass man die Gewalt mit noch mehr Gewalt angreifen muss, mit mehr Soldaten und mit harter Hand", sagte der bei 28 Prozent liegende Lopez-Obrador vor kurzem.
Entscheidend für die Zukunft des Landes wird allerdings auch sein, wer am Sonntag die Mehrheit bei den gleichzeitig abgehaltenen Kongresswahlen erhält. Nicht wenige Reformen Calderons waren stecken geblieben, weil das Parlament die entsprechenden Gesetzesvorlagen blockiert hatte. Viele einflussreiche Vertreter der politischen Elite glauben, dass nur die PRI in der Lage ist, den Reformknoten zu zerschlagen. Selbst Vicente Fox machte sich in den vergangenen Tagen für Pena Nieto stark. Angesichts der täglichen Schrecken des Drogenkriegs erscheint die Rückkehr der PRI-Dinosaurier in Mexiko derzeit tatsächlich als das kleinere Übel.