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2500 Morde in drei Jahren verübt. | Präsident versichert Straflosigkeit. | Bogota. In Kolumbien finden am Sonntag Parlamentswahlen statt, zehn Wochen später wird der neue Präsident gewählt - oder wohl eher der alte wiedergewählt. Die Konservativen sind weiter im Vormarsch. Hier laufen die Uhren anders als im übrigen Lateinamerika. Während dort immer mehr Länder die demokratische Linke an die Macht wählen, driftet Kolumbien zusehends zu einem rechtsautoritären System hin.
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Am Abend des 2. März wartet Hector Diaz Serrano in der Erdölstadt Barrancabermeja auf den Bus, der ihn zur Arbeit bringen sollte. Da nähert sich ihm ein Mann und feuert mehrere Schüsse auf den 43-jährigen Gewerkschafter ab. Dieser Mord wird ungestraft bleiben, wie fast alle mit politischem Hintergrund.
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In der Regionalzeitung "Vanguardia Liberal" war am Vortag ein Artikel über die Paramilitärs publiziert worden, mit einem Zitat von einer Gruppe dieser irregulären bewaffneten Einheiten: "Wir machen mit dem Kampf weiter, bis der letzte terroristische Guerillero und seine infiltrierten Helfer eliminiert sind."
Diese Ankündigung war das Todesurteil für Diaz Serrano. Als Mitglied der Erdölarbeitergewerkschaft USO hatte er Streiks gegen die staatliche Repression und gegen die drohende Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns Ecopetrol mitorganisiert. Allein in der von den Paramilitärs kontrollierten Stadt Barrancabermeja wurden im Jänner 10 Menschen aus politischen Gründen ermordet; 50 mussten nach Morddrohungen die Stadt verlassen.
Währenddessen terrorisiert die linksgerichtete Farc-Guerilla in den Landesteilen, wo sie noch präsent ist, die Bevölkerung weiter. Ende Februar drang ein Farc-Kommando in das Bürgermeisteramt der südwestkolumbianischen Kleinstadt Rivera ein und erschoss neun der elf Gemeinderäte. Zwei Tage zuvor hatten sie im Süden einen Bus überfallen und neun Zivilisten getötet. Sie wollen mit diesen Aktionen den Ablauf des Wahlprozesses stören. Die einstige Kontrolle über mehrere Regionen des Landes hat die Guerilla in den letzten Jahren allerdings an die Paramilitärs verloren.
Am Anfang war der Waffentstillstand
Präsident Alvaro Uribe Vélez hält es sich sehr zugute, dass er mit den Paramilitärs, die sich selbst lieber "Selbstverteidigungsgruppen" nennen, schon bald nach seinem Amtsantritt im August 2002 einen Waffenstillstand abgeschlossen und sie zur Demobilisierung bewogen hat. Diese irregulären bewaffneten Einheiten waren Anfang der 80er-Jahre von einem Netzwerk von Drogenhändlern, Landbesitzern und Armee-Kommandanten aufgebaut worden, um für den Staat die Guerilla und Regimekritiker zu bekämpfen. Diese Gruppen, die für zwei Drittel der schweren Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien verantwortlich zeichnen, wurden immer weiter ausgebaut, bis sie unter dem derzeitigen Staatschef einen Mannschaftsstand von 23.000 Kämpfern erreichten.
Drogenhandel bleibt de facto straffrei
Die meisten dieser Gruppen haben in den letzten Jahren ihre Waffen abgegeben, nachdem ihnen die Regierung de facto Straflosigkeit garantiert hatte. Zwischen dem Waffenstillstandsabkommen vom Dezember 2002 und heute haben sie dennoch über 2500 Personen ermordet oder verschwinden lassen. Nur schätzungsweise 300 ihrer Anführer müssen mit einer reduzierten Haftstrafe rechnen, wobei eigene Gefängnisse für sie gebaut werden. Entsprechend dem Gesetz "Gerechtigkeit und Friede" vom Juni 2005 können sie die Ländereien, die sie sich gewaltsam, durch die Vertreibung der ansässigen Bevölkerung, angeeignet haben, behalten. Die "Paras", wie sie in Kolumbien auch genannt werden, müssen sich auch nicht wegen Drogenhandels vor Gericht verantworten: Da sie die Einkünfte für den Kampf gegen die Guerilla verwendet haben, handelt es sich laut dem neuen Gesetz um ein politisches Delikt, das straffrei gestellt wird.
Politisch auf dem Vormarsch
Viele Beobachter sind überzeugt, dass die "Paras" nur deswegen dem Demobilisierungsprozess zugestimmt haben, weil sie in immer mehr Regionen des Landes ohnehin bereits die politische Kontrolle ausüben. Schon nach den letzten Kongresswahlen hatten sie ein Drittel der Abgeordneten erobert. Diesmal werden sie bei der Parlamentswahl wohl noch mehr Vertreter in den Senat (102 Sitze) und das Repräsentantenhaus (161 Sitze) entsenden. Der Einfluss der Paramilitärs hat in der Regierungszeit Uribe stark zugenommen. In etwa der Hälfte des Landes haben sie politisch das Sagen, gründen Parteien, stellen Kandidaten auf - und ermorden die anderer Parteien oder Kritiker wie den Gewerkschaftsführer Hector Diaz Serrano.
"Den Paramilitärs ist es gelungen, die politische Landkarte in elf Departements (von insgesamt 32; Anm.) zu ihren Gunsten zu verändern und politische Bewegungen zu bilden, die in den kommenden Wahlen entscheidend sein werden", schrieb der Politologe León Valencia kürzlich im "Espectador".
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht die demokratische Linke, die sich im Polo Democrático Alternativo (PDA) zusammengeschlossen hat. Sie stellt in mehreren Ballungszentren wie der Hauptstadt Bogotá den Bürgermeister, doch ist es in Kolumbien eine gefährliche Sache, Oppositionspolitik zu machen. Mitte Jänner wurden die Bürgermeisterkandidaten von Yumbo bei Cali und der Hafenstadt Buenaventura ermordet, vermutlich von "Paras".
Uribe, der sich am 28. Mai der Wiederwahl stellt, kann sich der Unterstützung der Milizen sicher sein, die ihn als "ihren Mann" preisen. Auch die EU lobt seinen "Friedensprozess", der eigentlich auf eine Legalisierung der Todesschwadronen hinausläuft, kritisiert aber auch die prekäre Menschenrechtssituation im Land.