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Indiens Wähler haben gesprochen, der politische Basar ist eröffnet. Weil die beiden großen Parteien fast gleichauf liegen, hängt alles von geschickter Verhandlungsführung mit Bündnispartnern ab. Das politische System verliert so freilich immer mehr seine Basis.
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"Mindestens drei sehr unterschiedliche Regierungen sind möglich", schreibt Indiens bester Wahlanalytiker Yogendra Yadav. Die endgültigen Zahlen sollen am Wochenende feststehen.
In den letzten fünf Jahren führte die Congress-Partei unter Premier Manmohan Singh eine Minderheitsregierung aus zuletzt zehn Parteien. Er wurde überdies von außen durch eine linke Front aus vier Parteien und Rebellen von vier weiteren Parteien sowie unabhängigen Kandidaten gestützt.
Diesmal könnte ein noch abenteuerliches Konstrukt herauskommen. Sowohl der Congress als auch die Oppositionspartei Bharatiya Janta Party (BJP) kommen keinesfalls allein auf die Mehrheit in der Lokh Sabha, wie das indische Unterhaus heißt. Damit werden die kleinen Regional- und Kastenparteien zu Königsmachern.
Die Jagd nach möglichen Bündnispartnern ist bereits in vollem Gange. Das treibt die Forderungen der Führer der kleinen Parteien nach Geld, Posten und Macht in die Höhe. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass eine Regenbogenkoalition aus den verschiedensten Parteien Kongress und BJP in die Opposition schickt. Inzwischen kursiert mehr als ein halbes Dutzend möglicher Namen für den Premierministerposten.
Unbeachtet bleibt Indiens riesige Wählerschar. Indien, das sich selbst gern als größte Demokratie der Welt bezeichnet, hat wie Großbritannien ein Mehrheitswahlrecht. Doch während dieses bei den Briten für zwei stabile Machtblöcke sorgt und kleine Parteien chancenlos lässt, bewirkt es in Indien das Gegenteil. Das Parteiengefüge splittert sich immer weiter auf und untergräbt so das politische System.
Heuer buhlten mehr als 300 Gruppierungen um Wähler. Nicht politische Parteiprogramme entscheiden über den Sieg, sondern die einzelnen Kandidaten vor Ort. Um ins Parlament in Neu Delhi einzuziehen, brauchen sie ausschließlich die Mehrheit in ihrem Wahlkreis. In Indien mit seinen Myriaden von Sprachen, Religionen, Kasten und Ethnien ist jeder der 543 Wahlkreise eine eigene Welt.
Das zeigt etwa das ländliche Bulandsher, 100 Kilometer von Neu Delhi entfernt. Hier wird noch traditionell nach Kasten gewählt. Bauern aus der Thakur-Kaste, oben in der Hierarchie, wählen die national-hinduistische BJP, kastenlose Dalits den Valmiki-Kandidaten der Samajwadi Party - einen Straßenkehrer, der sein Glas selbst mitbringt, da er mit Höherkastigen kein Geschirr teilen darf.
Hoch sind die Erwartungen nicht. "Die Politiker lassen sich hier nur alle fünf Jahre blicken", sagen die meisten. Die Zahlenspiele in Neu Delhi sind weit weg.