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Algier. Diesmal soll die algerische Parlamentswahl von keinem Betrugsverdacht überschattet werden. Präsident Abdelaziz Bouteflika versprach nun in einer Fernsehansprache eine faire Abstimmung. Dafür sollen eine unabhängige Kommission und internationale Beobachter bei dem Votum, das Bouteflika für den 10. Mai ansetzte, sorgen. Die vergangene Wahl 2007 war schon im Vorfeld derart von Manipulationsvorwürfen begleitet gewesen, dass sie etwa die oppositionelle sozialistische Berber-Partei FFS boykottiert hatte. Nehmen Bewegungen wie die FFS diesmal teil, hätte die Wahl mehr Legitimation als der vorangegangene Urnengang, bei dem die Beteiligung lediglich bei 36 Prozent lag.
Die Sieger der Wahl stehen aber laut Beobachtern schon fest: die Nationale Befreiungsfront (FLN) und die Nationaldemokratische Sammlungsbewegung (RND). Es sind dies zwei Gruppierungen, die eng mit Geheimdienst und Armee verwoben sind und derzeit mit der Islamisten-Partei Gesellschaft des Friedens die Regierung bilden.
FLN und RND haben einfach das meiste Geld für den Wahlkampf und sind voraussichtlich die einzigen beiden Parteien, die in allen Bezirken Kandidaten aufstellen werden. Zudem haben sie es mit schwachen Gegnern zu tun: Die Islamisten sind untereinander zerstritten oder teilweise nicht zugelassen. Und auch sonst ist die Parteienlandschaft in viele kleine Bewegungen zersplittert, die oft kaum Bekanntheitsgrad haben.
Doch unabhängig vom Wahlausgang besteht wenig Hoffnung, dass die Parlamentswahl an der politischen Verfasstheit der ehemaligen französischen Kolonie grundlegend etwas ändern wird. Das Abgeordnetenhaus hat nämlich ohnehin wenig Einfluss, viel mehr Macht und Entscheidungsgewalt liegen bei Präsident Bouteflika. Und hinter diesem zieht ein Netz von Militärs und Geheimdienstlern die Fäden. Algerien wird teilweise von Leuten beherrscht, deren Gesichter die Öffentlichkeit nicht einmal kennt. "Die Parlamentswahl wird nichts am politischen System ändern, solange sich dieses nicht selbst in Frage stellt", sagt der aus Algerien stammende Politologe Rachid Ouaissa von der Universität Marburg im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Traumata des Bürgerkriegs sorgen für Ruhe im Land
Ein massenhaftes Aufbegehren wie in Tunesien oder Ägypten haben Algeriens Machthaber derzeit nicht zu fürchten. Bis auf vereinzelte, kleinere Proteste wurde das Land mit 35 Millionen Einwohnern kaum vom arabischen Frühling erfasst. Zu groß ist die Angst vor Instabilität, Ouaissa spricht von den "Traumata des Bürgerkriegs". Als sich 1992 ein Sieg der Islamischen Heilsfront FIS bei der Wahl abzeichnete, brach das Militär diese ab. Es folgte zehn Jahre lang ein bewaffneter Kampf zwischen Armee und Islamisten, der 120.000 Todesopfer forderte.
Dies sei aber nicht der einzige Grund für die relative Ruhe im Land, analysiert Ouaissa. Gespeist mit Geldern aus der Erdgas- und Erdölförderung alimentiere die algerische Führung die Mittelschicht. Zudem gebe es günstige Kredite für junge Leute. "Auch wenn die Armut in marginalisierten Regionen Algeriens stetig steigt, ist die urbane Mittelschicht stabil", berichtet Ouaissa. Und es sei genau die städtische Bevölkerung gewesen, die in Ägypten und Tunesien die Aufstände vorangetrieben hat.