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Angesichts der aktuellen Debatte über Wahlkarten hier einmal etwas Grundsätzliches zum Thema Wählen in Österreich.
Erstens, die im Gesetz festgehaltenen Grundsätze eines gleichen, unmittelbaren, persönlichen, geheimen und freien Wahlrechts sind richtig und wichtig. Allerdings steht, zweitens, eine rigorose Umsetzung dieser Prinzipien im Widerspruch zur Kernidee der Demokratie, möglichst vielen Bürgerinnen und Bürger die Teilnahme an Wahlen zu ermöglichen. Dies wiederum ist eine, vielleicht sogar die wichtigste Voraussetzung für eine allgemeine Akzeptanz der Ergebnisse. Daraus ergibt sich, drittens, dass jedes Wahlrecht einen Kompromiss zwischen diesen widersprüchlichen Zielvorgaben sicherstellen muss.
Das österreichische Wahlrecht scheitert an dieser Herausforderung. Unser Kompromiss bestand darin, dass die Wahlbehörden es mit den Buchstaben der gesetzlichen Vorgaben recht locker nahmen. Streng exekutiert - das zeigt sich seit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs zur Aufhebung der Hofburg-Stichwahl in peinlicher Deutlichkeit -, führt die bestehende Regelung zu einem heillosen Chaos samt Überforderung der Behörden. Und dass Bürger das Recht verlieren, ihre Stimme abzugeben, weil es technische Probleme bei den Wahlkarten gibt, kann und darf schon gar nicht sein.
Warum also nicht einfach jenes Briefwahlrecht abschaffen (oder auf genau definierte Ausnahmefälle beschränken), das rechtlich und praktisch die Republik der Lächerlichkeit preisgibt? Tatsächlich regen sich ja auch bereits die ersten Stimmen, die für genau diesen Weg plädieren.
Ein solcher Schritt wäre jedoch ein kolossaler Fehler. Demokratie besteht nur zum einen Teil aus abstrakten Prinzipien und juristisch exakten Formeln. Mindestens so sehr ist sie ein lebendiger, formbarer Körper, der sich an die Lebensrealität der Menschen anpassen muss. Mit der Idee im Herzen, dass sich die größtmögliche Zahl der Bürger an der Gestaltung der allgemeinen Angelegenheiten beteiligen kann.
Dass die Wahlbeteiligung mittlerweile irgendwo bei 60 Prozent herumkrebst, dafür sorgen ohnehin schon die Tiefen des politischen Alltagsbetriebs - manchmal unbeabsichtigt und immer öfter auch ganz bewusst. Umso dringender ist ein Wahlrecht notwendig, das den Menschen möglichst geringe Hürden für ihre Stimmabgabe in den Weg legt.