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Wählen unter einem Bombenhagel

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Taliban drohen mit Anschlägen auf Wahllokale. | Abdullah will Karzai herausfordern. | Kabul. Es ist eine Wahl wie im Wilden Westen: Rund 17 Millionen Afghanen sollen heute, Donnerstag, einen neuen Präsidenten bestimmen - fraglich ist, ob sie dies auch können. Zwar sollen insgesamt etwa 7000 Wahllokale ab sieben Uhr Früh zugänglich sein, wie viele angesichts der prekären Sicherheitslage aber tatsächlich öffnen können, kann niemand voraussagen. Denn die Taliban, die über ein Viertel des Landes kontrollieren, wollen mit Terror einen Wahlboykott erzwingen. Sie wollen Straßen im Land blockieren und drohen mit Krawallen. Mit einer ganzen Serie von Anschlägen versuchen sie, die Bevölkerung einzuschüchtern und sich als die wahren Herrscher des Landes zu präsentieren.


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Auch am Mittwoch gab es wieder Gewalt in Kabul, als Aufständische eine Bank überfielen und sich eine stundenlange Schießerei mit der Polizei lieferten. Drei Menschen starben. Am Vortag kamen bei Anschlägen im ganzen Land insgesamt mehr als 20 Menschen ums Leben.

Von den 31 Wahlbewerbern werden dem amtierenden Präsidenten Hamid Karzai die größten Siegeschancen eingeräumt, doch es könnte diesmal knapp werden. Der 51-Jährige, der seit dem Sturz des Taliban-Regimes in Kabul mit königlichem Auftreten regiert, ist Chef einer Regierung, die für viele die korrupteste der Welt ist.

Viele Afghanen sehen Karzai als Handlangerer der USA und des Westens. Doch auch in Washington ist man wenig glücklich mit Karzai. Dieser sei "Chef eines Drogenstaates", befand US-Außenministerin Hillary Clinton einmal. Und auch Präsident Barack Obama hat wenig übrig für den Mann aus Kandahar, der seinen politischen Aufstieg Obamas Vorgänger George W. Bush verdankt. Karzai kehrte 2001 aus seinem US-Exil in die Heimat zurück. Aufgetaucht ist er zunächst als Führer der Delegation des früheren Königs Mohammed Zahir Shah. Ein halbes Jahr später war er Präsident der Interimsregierung. 2004 wurde er in der ersten Präsidentschaftswahl in der Geschichte Afghanistans mit einer deutlichen Mehrheit von 55,2 Prozent schon in der ersten Runde gewählt - mit deutlichem Vorsprung vor seinen Gegenspielern.

So leicht wird es der Paschtune diesmal wohl nicht haben. Nicht nur in den USA, auch im eigenen Land wird er für Korruption und Wirtschaftsmisere verantwortlich gemacht.

Abdullah setzt auf den Unmut der Bevölkerung

Sein Gegenspieler Abdullah Abdullah hofft, davon zu profitieren. Der 48-jährige Augenarzt war bis 2006 Außenminister. Dann warf ihn Karzai aus dem Kabinett. Abdullah entwickelte sich daraufhin zu einem der schärfsten Kritiker des Präsidenten. Weil er halb paschtunischer, halb tadschikischer Abstammung ist, baut Abdullah auf die Unterstützung der Tadschiken, die vor allem im Norden des Landes und in Kabul stark sind. Dem einstigen Widerstandskämpfer gegen die Sowjettruppen werden nach Karzai die besten Chancen nachgesagt.

Auch Ashraf Ghani Ahmadzai (60) spart nicht mit Kritik an Karzai. Dieser "verschachere die Regierung, um die Wahl zu gewinnen," erklärte Ghani, der zwei Jahre lang Karzais Finanzminister war, kürzlich. Der promovierte Wirtschaftswissenschafter ist Kanzler der Universität von Kabul. Elf Jahre lang hat Ghani zudem für die Weltbank gearbeitet. Der in den USA ausgebildete Paschtune wird im Westen mit viel Sympathie gesehen.

Auf ganz andere Art setzt sich Ramazan Bashardost von Karzai ab. Der 48-Jährige ist mit dem Taxi unterwegs, während andere Kandidaten in gepanzerten Limousinen fahren. Außerhalb von Afghanistan kennt den Junggesellen kaum einer. Der ethnische Hazara lebt bescheiden in einem Zelt und leistet sich auch sonst keinen Luxus. Der frühere Planungsminister mit dem Gandhi-Image ist eine wichtige Stimme im Parlament. Manche glauben, dass er mit seiner klaren Haltung gegen Selbstbereicherung, Kriminalität und Korruption zehn Prozent der Stimmen bekommen könnte.