Pläne für Anzapfen der strategischen Reserven.
| Ölpreisintervention: Iran-Sanktionen und US-Wahlen wären mögliche Gründe.
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Washington. Downing Street sagt Ja, das Weiße Haus sagt No Comment: Die Meinungen darüber, was Premier David Cameron und US-Präsident Barack Obama bei ihrem Treffen besprochen haben, divergieren. Ja, das Anzapfen der strategischen Ölreserven war in Washington ein Thema, sagen die Briten. Man habe nur generell über steigende Ölpreise gesprochen, betont ein Obama-Sprecher.
Experten gehen davon aus, dass die USA demnächst bei den Briten und Japanern wegen einer teilweisen, abgestimmten Freigabe der strategischen Ölreserven anfragen. Die Gerüchte darüber reichten, um den Ölpreis kurzfristig um vier Dollar talwärts zu schicken. Am Freitag ging es freilich wieder in die Gegenrichtung.
Eine Freigabe der Reserven könne den Ölpreis um "10 bis 15 Prozent drücken, aber keine langfristige Trendumkehr bewirken", sagt Erste-Rohstoffexperte Ronald Stöferle zur "Wiener Zeitung". Er sieht zwei Gründe für den Schritt: "Die USA befürchten, dass sich der hohe Ölpreis negativ auf die Konjunktur auswirkt. Oder wir sehen schon bald eine militärische Intervention im Iran."
Die Angst vor einer Eskalation rund um Irans Atomkurs hatte den Ölpreis in den vergangenen Monaten hochgetrieben. Ab 1. Juli tritt noch dazu das EU-Einfuhrverbot für iranisches Öl in Kraft. Die erdölproduzierenden Opec-Länder erwarten einen weiteren Preisanstieg. Deshalb sollen die USA bei Saudi-Arabien vorgefühlt haben, ob es nicht seine Produktionsmenge hochfahren könnte.
Womöglich wird der Iran aber nur vorgeschoben und es geht in Wahrheit um den US-Wahlkampf. Finanzminister Timothy Geithner warnt, die zuletzt etwas stabilere US-Konjunktur hänge am seidenen Faden, wenn Öl teurer wird. Da noch nie ein US-Präsident in einer Rezession wiedergewählt wurde, hat Obama jedes Interesse, das zu verhindern.
Obendrein will er nicht den Unmut der US-Bürger riskieren, falls der Spritpreis über die Rekordmarke von 4 Dollar pro Gallone klettert: Billiger Treibstoff genießt in den USA fast den Status eines Menschenrechtes.
Allzeithoch bei Ölpreis droht
Der Rohölpreis ist unterdessen nicht mehr weit vom historischen Hoch entfernt - dieses war im Sommer 2008 bei 147 Dollar pro Fass. Im Jahresdurchschnitt lag der Ölpreis im Vorjahr aber deutlich über 2008. Und 2012 ist er auf noch höherem Niveau gestartet. Spitzt sich die Krise zu oder kommt es gar zu einem Angriff auf den Iran, "sehen wir definitiv ein Allzeithoch", sagt Stöferle.
Die USA hatten schon im Juni 2011 ihre vier Megatanks in der Nähe des Golfs von Mexiko angezapft. Damals sorgte die Libyen-Krise für Engpässe. Die US-Ölreserven fielen damals von rund 730 auf 696 Millionen Barrel.
"Das System der Reserven stellt auf eine physische Versorgungskrise ab", warnt indes Peter Annawitt, Chef der österreichischen Erdöl-Lagergesellschaft. Eine Intervention, um den Preis zu drücken, sei nicht vorgesehen.
Wissen: (hes) Auch Österreich verfügt über "Pflichtnotstandsreserven" – im Vorjahr gut drei Millionen Tonnen an Erdöl und Ölprodukten. Das entspricht dem 90-Tages-Verbrauch des vorangegangenen Jahres: Jeder Öl-Importeur muss gesetzlich vorgeschrieben 25 Prozent seiner Nettoimporte (also abzüglich Exporte) bunkern. Als Marktführer für die Verwaltung der Reserven hat sich mit 97 Prozent Marktanteil die Erdöl-Lagergesellschaft ELG herauskristallisiert. Diese ist privatwirtschaftlich organisiert – knapp 56 Prozent gehören der OMV, weitere Gesellschafter sind BP, Shell und Eni. Unterstellt ist die ELG aber dem Wirtschaftsministerium. Die Vorräte sind an 40 Stätten österreichweit gelagert; teils in ELG-eigenen Beständen, teils in Mietlagern oder durch Kontraktpartner. Einer Geheimhaltung unterliegen die Lager nicht mehr. "Das wäre im Internet-Zeitalter wenig sinnvoll", sagt ELG-Chef Peter Annawitt.
Die IEA koordiniert Freigabe
Angezapft wurden Österreichs strategische Reserven erst einmal: 2005 gab es nach dem Hurrikan Katrina in den USA eine Verknappung von Benzin. Daraufhin wurde von der Energieagentur IEA die Freigabe von (anteilig) rund 50.000 Tonnen Erdöleinheiten aus Österreich angeordnet. Im Juni 2011 gaben größere Länder (darunter USA und Deutschland) Öl in den Markt frei, weil die Libyen-Krise zu einer Verknappung geführt hatte.
Alleingänge sind nicht vorgesehen: Das Procedere sieht vor, dass die IEA schwerwiegende Krisen feststellt und ihren Mitgliedern Quoten zuteilt, um die Versorgung aufrecht zu halten. Die EU hat 2009 parallel dazu eine Richtlinie erlassen, wonach Mitgliedstaaten im Notfall auf ihre Reserven zugreifen dürfen – aber nur bei physischen Versorgungsstörungen wie Pipeline-Schäden.