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Wahlkampf der Gleichgesinnten

Von Michael Schmölzer

Politik

Diesen Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. 40 Millionen Wahlberechtigte haben im ersten Wahlgang die Auswahl zwischen 16 Kandidaten. Am 5. Mai treten dann die beiden bestplatzierten Kandidaten zu einer Stichwahl an. Wer das sein wird, ist jetzt schon fix: Der neogaullistische Staatspräsident Jaques Chirac und sein sozialistischer Regierungschef Lionel Jospin. Was weiters unbestritten ist: Noch nie während der letzten Jahrzehnte sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich auf so wenig Interesse in der Bevölkerung gestoßen.


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Die laue Wahlkampf-Stimmung während der letzten Wochen wird auch in den Umfrageergebnissen deutlich, in denen einmal der eine, einmal der andere der zwei aussichtsreichsten Kandidaten vorne lag. Die Ursache für das Desinteresse der Franzosen am Wahlkampfgeschehen ist leicht zu benennen: Die Programme Chiracs und Jospins sind kaum voneinander zu unterscheiden.

Positionen austauschbar

Beispiel Kriminalitätsbekämpfung, eines der wichtigsten Wahlkampfthemen: Regierungschef Jospin will wiederholt straffällige Jugendliche in geschlossene Heime stecken - noch vor einigen Jahren wäre diese Position für einen Sozialdemokraten undenkbar gewesen - Neogaullist Chirac hat das gleiche vor, er verwendet dafür das Schlagwort "Null Straffreiheit". Beide Politiker wollen Steuern senken, die Dezentralisierung Frankreichs moderat fortsetzen, ein lebenslanges Recht auf Fortbildung schaffen und die Privatisierung von Staatsbetrieben vorantreiben. In Fragen der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik liegen die Positionen Chiracs und Jospins sogar noch dichter beieinander.

Die französischen Medien machen sich bereits über die Auswechselbarkeit der jeweiligen Standpunkte lustig und spotten über das Duo "Chispin und Jorac". Analysten befürchten die geringste Wahlbeteiligung in Frankreich seit Jahrzehnten.

Wahlkampf anno 2002: Kein Vergleich mit der "Schlacht von 1981", als beim Duell um die Präsidentschaft zwischen dem Bürgerlichen Valery Giscard d´ Estaing und dem Sozialisten Francois Mitterand die "Fetzen flogen". Seitdem hätten wiederholte Machtwechsel linke und rechte Patentrezepte ebenso entzaubert wie die "großen ideologischen Entwürfe", meint der deutsche Politologe und Frankreich-Experte Henrik Unterwedde.

Das Image zählt

Die Zeiten der weltanschaulichen Polarisierung sind tatsächlich vorbei, wer Präsident werden will, muss die politische Mitte an sich ziehen. Die letzten Wahlerfolge der Sozialisten Gerhard Schröder und Tony Blair legen ein beredtes Zeugnis davon ab. Was dann noch übrig bleibt, ist die Möglichkeit, den Wahlkampf extrem zu personalisieren. Nach US-amerikanischem Vorbild wird von einigen Medien ein Kampf "Image gegen Image, Profil gegen Profil" heraufbeschworen. Hier dürften sich die Präsidentschaftswahlen in Frankreich diesmal entscheiden. Was Staatschef Chirac nur recht sein kann, kommt er doch bei den Franzosen und Französinnen besser an, als sein oft "oberlehrerhaft" wirkender Konkurrent Jospin. Manko für Chirac: Nach zahlreichen Skandalen und gebrochenen Wahlversprechen gilt er als Opportunist, dem keiner mehr glaubt. Jospin wird mehr Ehrlichkeit zugetraut.

Vom Überdruss der Wähler könnten Außenseiter wie der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen oder die Trotzkistin Arlette Laguiller profitieren. Le Pen werden rund zwölf Prozent der Stimmen zugetraut, Laguiller um die zehn. Die Mehrheit der Franzosen ist jedenfalls entschlossen, im ersten Wahlgang keinem der beiden aussichtsreichsten Spitzenkandidaten das Vertrauen zu schenken. Chirac kann laut den letzten Umfragen nur mit 22 Prozent der Stimmen rechnen, Jospin könnte sogar unter die psychologisch wichtige 20 Prozent Marke fallen. Auch die Einführung der 35-Stunden-Woche, die Jospin als großes Projekt der Linken durchsetzen konnte, dürfte ihn nicht vor dem Absturz bewahren.

Eine "kleine Revolution" wird die Präsidentwahl aber auf alle Fälle bringen: Erstmals soll das Staatsoberhaupt nicht auf sieben, sondern nur auf fünf Jahre gewählt werden.