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Wahlkampf gegen alle Widerstände

Von WZ-Korrespondentin Beatrice Bösiger

Politik
Trotz Chancenlosigkeit kandidiert Kalinina (o.) für die Jabloko-Partei; der Stalinist Gromow hofft auf viele KP-Stimmen.
© Bösinger

Echte Oppositionsparteien erhalten in der russischen Politik nur wenig Platz. Bei der Partei Jabloko in Blagoweschtschensk, einer Provinzstadt im Fernen Osten, ist dies durchaus wörtlich zu verstehen.


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Blagoweschtschensk. Die Zentrale der Jabloko-Partei in Blagoweschtschensk ist winzig. Drei Tische und eine Reihe Stühle versperren den Platz. Computer, Bücher, Agitationsmaterial stehen herum. Neben einem Stapel Dokumente liegt ein angeschnittenes Schwarzbrot. Das Chaos scheint aber niemand zu stören. Natalja Kalinina, Vorsitzende des liberalen Bündnisses in der Stadt, setzt sich vor ein Transparent mit dem grün-roten Parteilogo und schießt los: "Uns fehlen Arbeitsplätze. Die junge, gut ausgebildete Generation zieht mangels Perspektiven weg. Die Preise sind viel zu hoch, fast wie in Moskau", sagt die 38-Jährige. Die Menschen hier im Fernen Osten fühlten sich von der Zentralregierung im Stich gelassen, meint die studierte Historikerin. Der Staat löse die Probleme der Region nicht wirklich: "Es werden einzig kosmetische Korrekturen vorgenommen".

Die liberale Oppositionspolitikerin versprüht Entschlossenheit. Aber trotzdem bleibt sie realistisch. Chancen, bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag gewählt zu werden, rechnet sie sich nicht aus. In der Wählergunst liegt Jabloko weit unter der für einen Duma-Einzug nötigen Fünf-Prozent-Hürde. Doch politische Aktivisten haben in Russland einen schweren Stand.

Viele Menschen ziehen sich zurück, wollen mit Politik nichts mehr zu tun haben. Seit den letzten Parlamentswahlen 2011, als sich der Unmut der Bevölkerung wegen offensichtlicher Wahlfälschungen in einer monatelangen Protestbewegung entlud, hat der Kreml die Daumenschrauben gegenüber Kritikern kräftig angezogen und das Wahlgesetz deutlich verschärft.

Um zur Wahl zugelassen zu werden, ist ein hoher bürokratischer Aufwand nötig, was vor allem kleinere Bündnisse benachteiligt. Der Partei des bekannten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny wurde wegen eines angeblichen Formfehlers in den Gründungsdokumenten die Registrierung gar verweigert. Oppositionelle Kandidaten sehen sich überdies immer wieder Schmutzkübelkampagnen ausgesetzt. Sie werden als Volksfeinde, fünfte Kolonne oder Auslandsagenten beschimpft und so weit diskreditiert, dass sich kaum jemand mehr getraut, sie zu wählen. Davon kann auch Kalinina Geschichten erzählen: Jabloko wird in Blagoweschtschensk etwa vorgeworfen, Studierende für ihre Stimmen zu bezahlen.

"Gemeinsamer Wahlboykott wäre besser gewesen"

Kalinina bezweifelt, dass die Wahl diesmal fair ablaufen wird. "Vor allem in den Regionen wird es erneut zu Manipulationen kommen", befürchtet sie. Unabhängige Kontrollen werden systematisch ausgeschaltet. In Blagoweschtschensk sei kein einziger Kandidat von Jabloko in die regionale Wahlkommission, die für Organisation und Durchführung der Wahlen verantwortlich ist, berufen worden. "Unter solchen Voraussetzungen macht eine Kandidatur für die Duma, Russlands Parlament, eigentlich keinen Sinn", sagt Kalinina. Aufstellen ließ sie sich trotzdem, aus Prinzip und Parteisolidarität. Besser hätte sie aber gefunden, wenn die zerstrittene demokratische Opposition gemeinsam einen Wahlboykott beschlossen hätte.

Derart vehemente Kritik am gegenwärtigen System ist von Alexander Gromow nicht zu hören. "Klar ist es kein Geheimnis, dass die Kreml-Partei Einiges Russland (ER) über große ‚administrative Ressourcen‘ verfügt", sagt der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF) in der Region Chabarowsk, 700 Kilometer östlich von Blagoweschtschensk. Die Kommunisten versuchten trotzdem, bei der Wahl das Maximum herauszuholen, meint Gromow. 19 Prozent erhielten sie 2011. Heuer sehen Umfragen sie mit 15 Prozent auf Platz zwei; ER steht bei 50 Prozent. Unter den vier bisherigen Parlamentsparteien, neben ER und KPRF die nationalistische LDPR sowie Gerechtes Russland, wird es wohl nur zu kleineren Sitzverschiebungen kommen. Die Kremlpartei leidet unter einem schlechten Image, davon könnten die anderen Parteien profitieren.

Lenin mit Schiebermützeund Hipster-Bart

"Im Unterschied zu den anderen sind wir bereit, wirklich für Disziplin zu sorgen", meint Gromow. Korruption müsse konsequent mit Gefängnis bestraft werden, dann herrsche in ein bis zwei Jahren Ordnung, poltert der 65-Jährige. Die KP positioniert sich als Vertreter der Interessen der Arbeiter und Pensionisten, fordert die Erhöhung der Renten, eine staatliche Kontrolle der Lebensmittelpreise und eine Wiederverstaatlichung der Energiekonzerne. Auf die Frage, wie die KPRF ihre ehrgeizigen Ideen finanzieren will, gerät der Kommunist allerdings ins Stocken: Die Regierung müsse effizienter arbeiten und die Wirtschaft sich entwickeln, dann gebe es schon Geld, murmelt er schließlich.

All das klingt zwar moderner als noch zu Sowjetzeiten. Die Kommunisten sind jedoch weit vom Glanz frühere Tage entfernt. In Chabarowsk hat die Partei 900 Mitglieder - zumeist Sowjetnostalgiker. Um auch jüngere Wähler anzusprechen, betreibt die Partei nun mit dem jungen Lenin Wahlkampf. Der Revolutionär posiert mit Schiebermütze und Hipster-Bart auf einem Plakat, trägt lässig einen roten Laptop unter dem Arm und eine teure Uhr.

Kritik am Umgang der Partei mit der Vergangenheit will Parteifunktionär Gromow nicht hören. Von Stalins Verbrechen distanziert er sich nicht. "Er hat Hitlerdeutschland besiegt und die Sowjetunion industrialisiert." Klar, Repressionen habe es gegeben, aber nur, wo sie "nötig waren und bei weitem nicht in dem Ausmaß", von dem Kritiker sprächen, so Gromow. Vor allem aber hätten die Leute in der UdSSR besser gelebt, so Gromow, der sich zum Abschied neben einem Stalinporträt fotografieren lässt.