Zum Hauptinhalt springen

Wahlkampf hemmt Verhandlungen

Von Eva Krafczyk

Europaarchiv

Warschau - Vom einstigen "Vorzeigekandidaten" scheint sich Polen bei den EU-Beitrittsverhandlungen in die Reihen des hinteren Mittelfeldes verabschiedet zu haben. Zwar versichern EU-Kommission ebenso wie Besucher aus den EU-Staaten mit schönster Regelmäßigkeit, dass eine EU-Erweiterung ohne Polen wenig Sinn mache und Polen in den Kreis der ersten Kandidaten gehöre. Doch gleichzeitig wird unmissverständlich darauf verwiesen, dass keinem Land ein Bonus eingeräumt wird und die Voraussetzungen stimmen müssen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Die Qualität der Verhandlungen zählt, nicht die Zahl der abgeschlossenen Verhandlungskapitel", ist deshalb seit Wochen von der Regierung und Chefunterhändler Jan Kulakowski zu hören. Zwar hat sich das Wirtschaftswachstum des größten der ostmitteleuropäischen Beitrittsstaaten verlangsamt. Die Privatisierung der Stahlindustrie, die Verschlankung des Bergbaues, die Modernisierung der Landwirtschaft sind nur einige der Probleme, die den Weg in die EU hemmen können. Zudem hat das Hochwasser in weiten Teilen Süd- und Südostpolens in den vergangenen Wochen die Verbesserung der Infrastruktur erneut ein ganzes Stück zurückgeworfen.

Verzögerungen

Doch das dürfte nicht der einzige Grund für die Verzögerungen bei den Verhandlungen sein. Denn in Polen wird in sechs Wochen ein neues Parlament gewählt, ein Regierungswechsel gilt als sicher. Zwar sind die oppositionellen Sozialdemokraten ebenso wie die konservative Minderheitsregierung von Ministerpräsident Jerzy Buzek Befürworter der EU-Integration, doch mitten im Wahlkampf gilt es auch, sich den EU-skeptischen Polen als harter Unterhändler zu zeigen.

Rücksicht auf Skeptiker

"Wenn wir zu allem Ja sagen würden, hätten wir die fehlenden Verhandlungskapitel innerhalb von zehn Minuten abgeschlossen", sagte Kulakowski vor kurzem nach einem Besuch in Brüssel. Aber gerade konservative Wähler und die Bauern befürchten ohnehin einen Ausverkauf polnischer Interessen, fürchten die Konkurrenz der EU-Staaten. Während die jungen und gut ausgebildeten Polen vor allem die Chancen sehen, fürchten andere, zu den wirtschaftlichen und sozialen Verlierern des Integrationsprozesses zu gehören. Zur Zeit befürwortet nur eine knappe Mehrheit der Polen von 54 Prozent den Beitritt zur EU, 29 Prozent der Polen sind dagegen, der Rest hat keine Meinung zu dem Thema. Nicht zuletzt deshalb gibt es in allen Landesteilen Veranstaltungen zum Thema "Die Verhandlungen verstehen", die für den Integrationskurs werben sollen.

Auch die beitrittswilligen Polen sind gegen einen "Beitritt zweiter Klasse" - das gilt vor allem für lange Übergangsfristen für den europäischen Arbeitsmarkt. "Soll doch der Markt entscheiden", meint etwa eine 28 Jahre alte Marketing-Expertin aus Warschau selbstbewusst. Sie spricht fließend Deutsch und Englisch, außerdem Russisch und Spanisch. Vor westlicher Konkurrenz bei der Suche nach einem guten Arbeitsplatz hat sie keine Angst. Wie viele Polen tatsächlich im Ausland Arbeit suchen wollen, ist nicht genau bekannt die Prognosen westeuropäischer und polnischer Statistiken gehen in dieser Frage weit auseinander.

Angst vor "Balearisierung"

Doch während vor allem Deutschen und Österreichern die polnische Forderung nach Freizügigkeit Unbehagen bereitet, beißen die EU-Staaten beim Thema Grunderwerb auf Granit. Während die meisten Nachbarstaaten mit einer siebenjährigen Übergangsfrist einverstanden sind, ist das polnische Ziel eine Frist von 18 Jahren. Nicht nur die günstigen Bodenpreise in Polen schüren die Furcht vor einer etwa in den masurischen Urlaubsgebieten. Gerade in Schlesien und Pommern müssen die polnischen EU-Unterhändler Rücksicht auf tief verwurzelte Ängste nehmen. Denn dort ist die Furcht vor einem Ausverkauf mit der Angst vor einer Rückkehr der Deutschen verbunden.