Gastbeitrag: Das Werben um französische Stimmen beschränkt sich nicht bloß auf das Festland in Europa.
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Der Front National (FN) hält das Erbe des alten französischen Kolonialreichs hoch. 1987 hatte Jean-Marie Le Pen einen Besuch auf Martinique angekündigt, sein Flugzeug bekam aber keine Landeerlaubnis. Lokale FN-Funktionäre riefen daher bei der Partei in Paris an, um zu fragen, ob nicht ein anderes Familienmitglied kommen könne. Hauptsache, jemand mit dem Namen Le Pen - der Parteichef schickte daraufhin seine jüngste Tochter. 30 Jahre später will die Besucherin von damals, Marine Le Pen, nach der französischen Präsidentschaft greifen. Dafür betreibt sie auch wieder Wahlkampf in Übersee.
Selbe Währung, teilweise sehr unterschiedlicher Rechtsstatus
Frankreich ist weit mehr als "France métropolitaine", wie das europäische Kontinentalfrankreich genannt wird. Zum französischen Staatsgebiet gehören darüber hinaus mehrere Überseegebiete: "France d’outre-mer". Zusammen haben Frankreichs Überseegebiete eine Festlandfläche von knapp 89.000 Quadratkilometern (zum Vergleich: Österreichs Staatsgebiet umfasst nicht ganz 84.000 Quadratkilometer). Unter Einbeziehung der jeweiligen Küstengewässer ergeben sich sogar beachtliche 550.000 Quadratkilometer.
Die Überseedepartements haben die gleiche rechtliche Stellung wie Regionen im französischen Kernland. Darüber hinaus sind sie integraler Bestandteil der Europäischen Union und haben den Euro als Währung. Es handelt es sich um Guadeloupe, Martinique, Französisch-Guayana, Mayotte und La Réunion. Im Gegensatz dazu haben die Überseegebietskörperschaften einen teilweise sehr unterschiedlichen Rechtsstatus. Sie besitzen zwar Autonomie (was bedeutet, dass französische Gesetze nicht automatisch Gültigkeit erlangen), außen- und verteidigungspolitisch sind sie jedoch von Frankreich abhängig. Wie auch die Überseeregionen senden einige der Überseegebietskörperschaften Vertreter in die französische Nationalversammlung und den Senat. Es handelt sich dabei um Saint-Martin, Saint-Barthélemy, Saint-Pierre und Miquelon, Wallis und Futuna, Französisch-Polynesien sowie Neukaledonien.
Die Bewohner aller Überseegebiete sind auch zur Wahl des französischen Präsidenten berechtigt. Sie stellen zusammen immerhin rund vier Prozent aller Wahlberechtigten. Es gehört zur Tradition aller Präsidentschaftskandidaten, auch in diesen Gebieten Wahlkampf zu betreiben.
Der Front National kandidiert auch in den Überseegebieten - in der Vergangenheit mit teils sehr unterschiedlichem Erfolg. Die Partei liegt dabei zwar regelmäßig unter dem landesweiten Durchschnitt, dennoch ist ein kontinuierlicher Anstieg an Stimmen für den Front National zu verzeichnen. Bei der vergangenen Präsidentenwahl 2012 erreichte Marine Le Pen im ersten Wahlgang insgesamt 17,9 Prozent der Stimmen. Ihr bestes Überseeergebnis erlangte sie in Sichtweite von Kanadas Küste in Saint-Pierre und Miquelon mit immerhin 15,8 Prozent. Aber auch in Französisch-Guayana, La Réunion, Saint-Martin, Saint-Barthélemy sowie Neukaledonien bekam sie zweitstellige Zustimmungsraten.
Eigenes Wahlkampfprogramm für die Überseegebiete
Bei den Wahlen zum EU-Parlament im Jahr 2014 konnte der Front National sein Ergebnis in Übersee weiter steigern. Bei landesweiten 24,9 Prozent wurden auf Saint-Martin und Saint-Barthélemy beachtliche 21,2 Prozent erzielt, gefolgt von 15,4 Prozent in Saint-Pierre und Miquelon, 14,1 Prozent in Französisch-Guayana, 12,9 Prozent auf La Réunion und immerhin noch 11,6 Prozent in Neukaledonien. Für die erste Runde der Präsidentschaftswahlen im April 2017 gehen Prognosen von bis zu 26 Prozent auf La Réunion und 20 Prozent in Französisch-Guayana aus. Le Pen scheint auch tausende Kilometer entfernt vom französischen Kernland ihre Anhänger zu mobilisieren.
Dass der Front National für die anstehende Wahl nichts dem Zufall überlässt, belegt auch die Tatsache, dass es diesmal ein eigenes "Programme pour l’Outre-mer de Marine Le Pen pour la présidentielle 2017" gibt. Darin legt Le Pen auf zwölf Seiten ihre Sichtweise und Pläne für die französischen Überseegebiete dar. In der Tradition französischer Etatisten bekennt sie sich voll zu diesem Teil Frankreichs und bezeichnet ihn als "integralen Bestandteil" der Grande Nation. Sie fordert mehr Geld für die Gebiete und kündigt umfangreiche Investitionen an. Der Handel mit traditionellen Produkten wie Bananen, Rum oder Zucker soll durch EU-weite Schutzmaßnahmen gefördert werden. Die französische Marine soll ausgebaut und die Sicherheit der Gebiete durch verstärkte Militärpräsenz abgesichert werden. Aktuelle Sicherheitsprobleme etwa in Mayotte durch die immer größere werdende illegale Migration von den Komoren und aus Ostafrika auf dieses EU-Gebiet in äußerster Randlage im Indischen Ozean soll durch massive Verstärkung der Polizei- und Grenzschutzkräfte begegnet werden. Nach Ansicht Le Pens stellen die Überseegebiete "Frankreichs Außengrenze im 21. Jahrhundert dar", die mit allen Mittel zu sichern und zu verteidigen sei. Dass auf Mayotte die Bevölkerung beispielsweise zu 98 Prozent aus sunnitischen Muslimen besteht, scheint die Galionsfigur der französischen Rechten dabei nicht zu stören.
Marine Le Pen kultiviert Worte und Symbole eines traditionellen Frankreichs und verkörpert - zumindest, was ihre Überseepolitik angeht - damit eine Art Gaullismus: Grundsätzlich konservativ, strebt sie nach einem zentralistischen Staat und legt Wert auf die internationale Bedeutung Frankreichs. Damit wirkt sie patriotisch und kann gleichzeitig dem Prozess der europäischen Integration kritisch-ambivalent gegenüberstehen.
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen. Andreas Brocza ist Politologe mit Schwerpunkt außereuropäischer regionaler Integrationsprozesse.