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Wahlkampf mit der Sehnsucht nach Sicherheit

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Die Oppositionspolitikerin Beata Szydlo (im Bild als Fußballfan Anfang Oktober) greift nach der Regierungsmacht in Polen.
© reu/Kacper Pempel

Nationalkonservative Opposition will Polens Interesse in der EU in Vordergrund rücken.


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Warschau. Das Verhältnis Polens zu Russland? Die Rolle des osteuropäischen Mitglieds in der EU? Die wichtigsten Herausforderungen der Gemeinschaft für die kommenden Jahre? Als die Spitzenkandidatinnen der zwei größten polnischen Parteien im Fernsehduell zu außenpolitischen Themen befragt wurden, blieben sie zum Großteil Antworten schuldig. Denn wenige Tage vor der Parlamentswahl spitzt sich die Kampagne auf eine Debatte über soziale Probleme und gegenseitige Anschuldigungen zu. Ein "würdiges Leben" wünsche sie für die Polen, betont die Oppositionspolitikerin Beata Szydlo immer wieder. Die Regierung habe nicht nur für prosperierende Wirtschaft, sondern auch für höheren Lebensstandard vieler Menschen gesorgt, entgegnet Premierministerin Ewa Kopacz.

Doch die Argumentation ihrer Mitte-Rechts-Partei Bürgerplattform (PO) scheint weniger Menschen als noch vor vier Jahren zu überzeugen. Damals schaffte die gemäßigt konservative Gruppierung, was nach 1989 noch keiner anderen gelungen war: als Regierungsfraktion wiedergewählt zu werden. Jedoch macht sich in der Bevölkerung mittlerweile Müdigkeit bemerkbar: Laut Umfragen hat die PO viel an Sympathie eingebüßt; ein Wahlsieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) am Sonntag wird prognostiziert. Deren Spitzenkandidatin Szydlo könnte schon bald Kopacz ablösen.

Obwohl aber zwei Frauen um das Amt des Premiers kämpfen und auch das Bündnis Vereinigte Linke von einer Frau angeführt wird, ist das Interesse der Öffentlichkeit an der Rolle der Männer im Hintergrund groß. Es kreist vor allem um die Präsenz eines Mannes: Jaroslaw Kaczynski. Der PiS-Gründer und ehemalige Ministerpräsident, dessen Zwillingsbruder Lech Kaczynski Staatspräsident war, als er vor fünf Jahren bei einem Flugzeugabsturz umkam, prägt die polnische Politik seit Jahren mit. Dass er bei der Kandidatur um den Posten des Premiers Beata Szydlo den Vortritt gelassen hat, bedeutet nicht, dass sein Einfluss in der Partei geschwunden war. Eher steckte unter anderem die Überlegung dahinter, dass der teils impulsiv agierende Kaczynski mit radikalen Aussagen potenzielle Wähler außerhalb der Kerngruppe verschrecken könnte.

Gefühl der Bedrohung

Denn seine Befürchtungen, dass Flüchtlinge Krankheitserreger ins Land bringen, teilen keineswegs alle möglichen Sympathisanten. Und Tiraden auf das "Diktat aus Brüssel" oder Berlin sind auch manchmal fehl am Platz. Allerdings treffen sie so manches Mal die Gefühlslage jener Polen, die sich nicht als Gewinner des Systemumsturzes vor gut 25 Jahren und des EU-Beitritts vor elf Jahren sehen. Zwar kann die Regierung auf Wirtschaftswachstum, sinkende Arbeitslosenraten und eine überdurchschnittlich gute Ausnutzung von EU-Förderungen zum Ausbau der Infrastruktur verweisen, doch spielt noch immer jeder zehnte Pole mit dem Gedanken zu emigrieren, weil er im Ausland bessere Perspektiven ortet. In Polen beträgt das monatliche Mindesteinkommen gerade einmal rund 400 Euro.

PiS verspricht nun mehr Sicherheit - ökonomische aber auch politische. Denn das Gefühl der Bedrohung betrifft bei einigen nicht nur die finanzielle Lebensgrundlage, sondern auch Entwicklungen außerhalb des Landes. Darauf weist Malgorzata Bonikowska, Leiterin des nicht-staatlichen Zentrums für internationale Beziehungen in Warschau, hin. Als Beispiel führt sie den Konflikt um die Ukraine an. "Es ist nicht lange her, dass Polen gemeinsam mit der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet hat", sagt Bonikowska. Das war 2012. Zwei Jahre später war die Krim schon annektiert und ein Ende der Kämpfe im Nachbarland nicht abzusehen.

Das werde in Polen - wie in einigen anderen osteuropäischen Staaten - deutlicher als Bedrohung empfunden denn in westeuropäischen Ländern, betont die Wissenschafterin. Die Sicherheit des Landes spielt daher sowohl im Wahlkampf eine Rolle als auch in den Forderungen an die EU, von der beispielsweise schärfere Reaktionen auf das Vorgehen Russlands gewünscht werden.

Dass allerdings die Kaczynski-Partei, falls sie an die Regierung kommt, die Auffassungsunterschiede - in etlichen Bereichen - innerhalb der EU zu einer massiven Opposition vor allem zu den westeuropäischen Mitgliedern verhärtet, glaubt Bonikowska nicht. "PiS hat keine Anti-EU-Rhetorik", stellt sie klar: "Doch wird nicht die Union an erste Stelle gesetzt, sondern Polen - was die Regierung aus Sicht der Opposition vernachlässigt hat." Die nationalkonservative Fraktion teile die Vision einer "Union der Vaterländer", in der wirtschaftliche Integration annehmbar aber politische Vertiefung weit weniger erwünscht ist.

Geld und Gestaltung

Der ökonomische Aspekt dominierte denn auch lange Zeit die EU-Debatte in Polen, die oft darum kreiste, wie viel finanzielle Unterstützung das Land erhalten könne. "Die Nutzung der Fördermittel hatte Priorität, obwohl sie das Mittel und nicht der Zweck sein sollte", erklärt Bonikowska. Erst als Polen vor vier Jahren den EU-Vorsitz übernommen hatte, begann sich das Bewusstsein zu entwickeln, dass das Land nicht nur Geldempfänger sei, sondern auch Mitgestalter. Nun werden laut Bonikowska auch andere Fragen gestellt: "Was wollen wir in die Union einbringen? Was möchten wir wie gestalten? In welche Richtung soll sich die EU bewegen?" Diese Überlegungen werden von der Politik gerade erst formuliert.

Bonikowska ist sicher, dass der Prozess der Formulierung selbst fortgesetzt wird, auch wenn Recht und Gerechtigkeit von der Bürgerplattform die Regierungsmacht übernimmt. Doch die Antworten, die PiS auf die Fragen findet, könnten anders ausfallen.