Auch wenn die Kandidaten bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Polen zunächst zurückhaltend agieren müssen - ohne schrille Töne wird die Kampagne nicht ablaufen.
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Der eine sollte nicht allzu viel reden, der andere nicht allzu viel tun. In der Kampagne vor den polnischen Präsidentschaftswahlen haben es die beiden wichtigsten Kandidaten nicht einfach. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, der sich um die Nachfolge seines tödlich verunglückten Zwillingsbruders Lech Kaczynski bewirbt, muss sich mit Wortmeldungen zunächst zurückhalten. Groß wäre nämlich die Gefahr, dass er wieder zu poltern beginnt - gegen die Linke, gegen die Europäische Union, gegen die Feinde Polens. Was ihn Wählerstimmen kosten könnte.
Der andere Kandidat wiederum, Bronislaw Komorowski, muss genau abwägen, wie er handelt. Denn als Interimspräsident hätte er einige Entscheidungen zu fällen - wie etwa Bestellungen in der Präsidentschaftskanzlei oder der Generalstaatsanwaltschaft, weil Posten nach dem Tod von 96 Menschen bei dem Flugzeugunglück in Russland zu besetzen sind. Doch gleichzeitig ist Komorowski auch in seinen eigenen Wahlkampf verwickelt. Und egal, wie er als Interimspräsident entscheidet, werden ihm einige immer vorhalten, er habe als Kandidat der Regierungsfraktion nach parteipolitischen Interessen gehandelt.
So müssen beide, sowohl der Favorit Komorowski als auch sein Gegenspieler Kaczynski, vorsichtig vorgehen. Denn niemand steht in dieser Kampagne mehr im Rampenlicht als sie. Den anderen acht Kandidaten - unter denen sich im übrigen keine einzige Frau befindet - werden kaum Chancen darauf eingeräumt, dass ihr Stimmenanteil überhaupt im zweistelligen Bereich sein könnte.
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Es ist ein eigenartiger Wahlkampf, vielleicht der seltsamste, den Polen je erlebt hat. Er steht nämlich im Schatten eines Toten - und gegen einen solchen zu kämpfen, scheint unmöglich. Ohne den Unfalltod von Präsident Lech Kaczynski, dessen Archivaufnahmen im öffentlichen Fernsehen in Schwarz-Weiß gesendet werden, hätte es diese Kampagne zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht gegeben. Nun muss sich Komorowski hüten, die Amtsführung seines möglicherweise Vorgängers stark zu kritisieren. Allzu leicht könnte er sich den Vorwurf des mangelnden Respekts vor dem Verstorbenen einhandeln.
Auf der anderen Seite darf sein Widersacher Kaczynski trotz all der persönlichen Trauer nicht zu sehr auf den Mitleidseffekt setzen. Auch wenn er im Namen des Bruders kandidiert, muss er sein eigenes Image aufbauen. Daran arbeiten seine Berater derzeit mit allen Kräften - und mit so manchem Überraschungseffekt. So erstaunte vor wenigen Tagen eine Videobotschaft Kaczynskis an "die russischen Freunde". Er, der als einer der Russland-kritischsten Politiker Polens gilt, bedankte sich für die Anteilnahme des Nachbarlandes nach der Flugzeugkatastrophe.
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Dass allerdings der gesamte Wahlkampf tatsächlich in ruhigen Schwarztönen gehalten wird, ist zweifelhaft. Dafür polarisiert der nationalkonservative Kaczynski zu viel - sowohl im Parlament als auch in der Öffentlichkeit. Und auch Komorowski von der liberalkonservativen Bürgerplattform wird um markantere Aussagen nicht herumkommen. Noch hält sich seine Partei zurück, als ob sie auf den ersten Schlag von Kaczynskis PiS (Recht und Gerechtigkeit) warten würde.
Dort wiederum kann es der rechte Flügel der Fraktion kaum erwarten, schrillere Töne anzuschlagen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Abtausch beginnt. Die Trauerperiode geht spätestens dann zu Ende.