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Wahlkampf mitten im Terror

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist gebürtige Britin, Politologin und leitet das in Wien ansässigen Instituts für Go-Governance.
© Ernst Weingartner

Die Sicherheit wird das zentrale Thema bei der Wahl in zwei Wochen sein.


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Terror ist nichts Neues für Großbritannien. Vor 45 Jahren verübte die Irische Republikanische Armee (IRA) Anschläge, auch in Pubs. Zu Weihnachten wurde man darauf hingewiesen, Einkaufstaschen immer nahe am Körper zu halten. Verdächtige Taschen wurden von Sicherheitskräften entfernt. Zugschienen wurden als mögliche "weiche Ziele" von Terroristen, die gegen die "englische Herrschaft" agierten, bezeichnet. Mistkübel wurden aus den U-Bahn-Stationen verbannt, vor der Residenz des Premierministers in der Downing Street wurde ein hoher Zaum errichtet. Unter Premier Harold Wilson hätte es also keine Selfies vor Nummer 10 gegeben.
Einer, der sich für einen Dialog mit der IRA aussprach, war Jeremy Corbyn, der jetzige Chef der Labour-Partei. Am vergangenen Wochenende in einem TV Interview darauf angesprochen. Seit dem Anschlag in Manchester mitten im britischen Wahlkampf sind alle Parteien zusammengerückt. Premierministerin Theresa May von den Tories hat Corbyn in den Morgenstunden des Terroraktes darüber informiert, dass der Wahlkampf suspendiert wurde. So wie es vor fast genau einem Jahr der Fall war, nachdem mitten in den Kampagnen zum Brexit-Referendum die Labour-Abgeordnete Jo Cox ermordet worden war.
Bisher war der Ton im Wahlkampf hart, aber nicht auf dem Niveau des Vorjahres, als etwa Ukip mit einem umstrittenen Anti-Flüchtlinge-Plakat für den EU-Austritt warb. Vor einem Jahr stand das Thema Einwanderung für viele Wähler im Vordergrund. Diesmal dominieren das Gesundheitssystem und die Auswirkungen des Brexit auf die Wirtschaft die Schlagzeilen.
Das Land befindet sich in einer heiklen Phase des Wahlkampfes. Die Parteien wollen nicht den Terroranschlag ausnutzen, um politisches Kleingeld zu machen. May hat – ebenso wie die Queen – ein Kinderspital in Manchester besucht, aber es gab keine große Inszenierung, und die anwesenden Kamerateams verhielten sich respektvoll. Politiker müssen jedenfalls bei derartigen Ereignissen aufpassen. Man erinnere sich nur an den österreichischen Alt-Bundeskanzler Viktor Klima und dessen Auftritt in Gummistiefeln beim Hochwasser in Österreich.

Trotzdem hat der in Manchester geborene Sänger Peter Morrissey die Reaktion vieler Spitzenpolitiker auf den Terroranschlag kritisiert: Seiner Meinung nach werden zwar die Politiker wieder einmal besser beschützt, aber die einfachen Menschen im Stich gelassen. In den Sozialen Medien aber hat er dafür nicht nur Lob geerntet. Nach dem Schock des Terrors werden jedenfalls Fragen über Fragen aufgeworfen.

Seit der vergangenen Wahl im Jahr 2015 ist viel passiert

In knapp zwei Wochen wählen die Briten ein neues Parlament, drei Jahre früher als vorgesehen. Seit der vergangenen Wahl im Jahr 2015 ist viel passiert: Premier David Cameron ist zurückgetreten, auch die Parteichefs von Labour und Liberaldemokraten wurden ausgetauscht. Der Brexit dominiert die Tagesordnung – doch die führende Kraft, die ihn so intensiv propagiert hatte, Ukip, hat Sponsoren, ihren Chef und den einzigen Abgeordneten im Parlament verloren. Laut den Meinungsumfragen könnte Ukip bis zu acht Prozent ihrer Wählerschaft verlieren. Labour hat einige Wähler in Arbeiterbezirken zurückgeholt, aber viele ehemalige Ukip-Wähler sind potenzielle Anhänger der Konservativen.

Als zentrales Thema kommt bei der Parlamentswahl nun Sicherheit dazu. Vor allem, wenn die Menschen auf dem Weg ins Wahllokal auf der Straße noch immer Soldaten mit Maschinenpistolen sehen werden. Viele verlangen noch mehr Kontrollen, mehr Videokameras, mehr Polizei und härtere Maßnahmen gegen Verdächtige. Andere argumentieren, das alles gebe es ohnehin schon lange, und es seien auch schon viele Attentate verhindert worden, aber darüber werde eben nicht viel berichtet. Wieder andere blicken auf die Großstädte, die Hoffnungslosigkeit vieler Jugendlicher, die nicht so gut ausgebildet sind; hier müsse man ansetzen. Beides, mehr Sicherheitsmaßnahmen und bessere Integration, erfordert mehr Geld in einem Land, das schon jetzt die Folgen des Brexit spürt.
Man darf auch nicht übersehen, dass Großbritannien in den vergangenen 50 Jahren viele neue Mitbürger aus verschiedensten Ländern der Welt aufgenommen hat. Deren Nachwuchs ist integriert und kann in Schlüsselpositionen einen Beitrag leisten. Ein gutes Beispiel ist der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Und in Manchester hat in der Terrornacht ein Sikh, der als Taxifahrer schon Dienstschluss hatte, spontan Opfer gratis ins Spital geführt. Manchester, oft "Gunchester" genannt, ist keine Stadt für Schwächlinge – aber es hat ein Herz und eine Seele.
Freilich ist evident, dass die englischen Großstädte verschiedene Sorgen plagen. Das zeigten auch die Unruhen vor einigen Jahren. Vor einem Jahr hielt May – damals als Innenministerin – eine Rede zum Brexit. Sie plädierte für den Verbleib in der EU mit dem Argument, das Land sei als EU-Mitglied sicherer und besser gegen Terror gerüstet. Die institutionelle Kooperation zwischen den EU-Staaten sollte erhalten bleiben. Das ist die Lehre aus dem Terror von Manchester.