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"Wahlkampf öde, Themen marginal"

Von Thomas Seifert

Politik

Wie Wirtschafts-Analysten und Consulter die Bundestagswahl einschätzen.


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Berlin. Banker und Consultants machen sich Gedanken zur Bundestagswahl in Deutschland. Für die Investoren und Klienten steht einiges auf dem Spiel: Deutschland ist die wichtigste Volkswirtschaft Europas, zweitwichtigster Exporteur weltweit und unumstrittene Führungsnation in der EU.

Für die Analysten der Deutschen Bank Research macht der Wahlausgang der deutschen Bundestagswahlen keinen großen Unterschied, so oder so sei "kein großer Schwenk im Politikkurs zu erwarten", schrieben die Autoren des Research-Briefings "Ausblick Deutschland".

Nach den Landtagswahlen in Bayern haben die Wahlstrategen nachjustiert, die SPD, indem sie auf einen stärkeren Konfrontationskurs vor allem gegenüber der FDP eingeschwenkt ist, die FDP, die in Bayern ja ein Debakel erlebt hat, indem sie wieder stärker auf eine Zweitstimmenkampagne setzt. Ob dieses taktische Wählen tatsächlich zu einer Stärkung des konservativ-liberalen Lagers auf Bundesebene führt, bleibt allerdings offen, schreiben die Autoren des Berichts der Deutschen Bank, Barbara Böttcher und Oliver Rakau.

Der Chef-Volkswirt der Niederländischen ING-Bank, Carsten Brzeski, warnt hingegen in seinem jüngsten Newsletter davor, die Wahl schon für gelaufen zu erklären: "Man soll die Küken nicht vor dem Schlüpfen zählen", schreibt er in seinem Papier. Auch wenn der Wahlsieg von Angela Merkel und damit eine dritte Amtszeit der Kanzlerin so gut wie sicher sei, gebe es immer noch genügend Überraschungspotenzial. So werde die Frage nach dem möglichen Koalitionspartner Merkels bis zur letzten Minute unklar bleiben.

"Wird die CDU stärkste Partei bleiben? Oder wird Merkels Herausforderer Peer Steinbrück ein Hollywood-Comeback schaffen? Und wie werden die kleinen Parteien abschneiden? Wird Merkels Junior-Partner, die FDP, die Fünf-Prozent-Hürde überspringen? Oder wird es eine kleine Revolution geben und eine der beiden Kleinparteien - die Piraten oder die Protestpartei ,Alternative für Deutschland‘ - den Einzug ins Parlament schaffen?", fragt Brzeski.

Öder Wahlkampf,marginale Themen

Es sei eine öde Wahlkampagne gewesen, schreibt Brzeski, "es ging nicht um Kontroversen mit wirtschaftlicher Substanz, sondern um Charakterfragen und andere marginale Themen, die zu anderen Zeiten höchstens für die Boulevardpresse interessant gewesen wären".

Jüngstes Beispiel: Die Grünen-Pädophilie-Debatte, wo sich Spitzenkandidat Jürgen Trittin erst gestern, Dienstag, auf der Grünen Abschlusskundgebung in Augsburg nochmals entschuldigen musste: "Wir Grünen, mich eingeschlossen mit der Verantwortung, haben in den frühen 80er Jahren eine Position vertreten zur Pädophilie, die muss allen Missbrauchsopfern als Hohn erscheinen." Oder die Debatte um Peer Steinbrücks Stinkefinger: Der SPD-Spitzenkandidat hatte in ebensolcher Pose für das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" posiert und ist dafür in die Kritik geraten.

Das Beratungsunternehmen Roland Berger hat sich bereits im Sommer in einer Wahl-Szenarien-Analyse mit den möglichen Koalitions-Szenarien auseinandergesetzt.

Bei einer CDU/CSU-FDP-Koalition stehe "Austerity Reloaded" auf der Agenda, vielleicht auch "Austerity Relaxed", urteilen die Studienautoren. Beide Koalitionspartner stehen neuen Steuern sehr skeptisch gegenüber. Die Sanierung des Staatshaushalts muss daher vor allem durch Einsparungen gelingen. Eine ambitionierte Reformagenda ist von Schwarz-Gelb nicht zu erwarten, urteilen die Roland-Berger-Berater: ein paar Strukturreformen, ein paar Wachstumsinitiativen. Die FDP will eine Reform der Zuwanderungspolitik, die CDU/CSU blockiert. Und ob es der FDP gefällt oder nicht, es steht die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns auf der Agenda.

Eine CDU/CSU-SPD-Koalition würde eine Steigerung der Ausgaben bringen. Nachdem sich mit dieser Koalitionsvariante Mehrheiten im Bundesrat organisieren lassen, rechnen die Roland-Berger-Analysten damit, dass eine große Koalition in Deutschland einen Reformschub bringen könnte. Ein solcher wäre hoch an der Zeit, vor allem, nachdem der Solidarpakt 2019 ausläuft und die Nachfolge des Transferpakets von West nach Ost auf den Weg gebracht werden muss. Die SPD will den Arbeitsmarkt stärker regulieren, doch derartige Initiativen werden wohl von der CDU/CSU blockiert werden.

SPD-Grün würde nach Einschätzung der Roland-Berger-Analysten Steuererhöhungen bringen: vor allem für Bildung und Infrastruktur. Eine rot-grüne Regierung würde wohl Vermögenssteuern auf den Weg bringen, ein härteres Vorgehen gegen "Steueroptimierer" ist ebenfalls eine der Wege, wie Rot-Grün zu höheren Steuer-Einnahmen kommen will.

Am Wahlsonntag werden aus den skizzierten Szenarien Realitäten.