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Bis Freitag will die Regierung Einigungen für den Neustart präsentieren. | Die Zukunft von Rot-Schwarz steht dennoch auf Messers Schneide.
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Wien. Dienstagabend in der "Wolke 19" des Ares-Tower in der Donaucity. Über den Dächern der Stadt lud die "Sektion ohne Namen" zur Diskussion mit Bundeskanzler Christian Kern. Thema: Digitalisierung, Parteiöffnung, junge Menschen. Die "Sektion ohne Namen", laut Kern "die Zukunft der sozialdemokratischen Bewegung in Österreich", stellt sich als junge, progressive Organisation dar. Ihr Name erinnert, ob bewusst oder nicht, an die "Sektion 8" Alsergrund - ein Zusammenschluss von jungen linken Intellektuellen, der in der Vergangenheit häufig mit Kritik am Kurs der Parteispitze aufgefallen ist. Das Ziel der Rebellen: die Partei von innen heraus erneuern - und deutlich nach links rücken. Erneuerung und Partizipation, das will auch die "Sektion ohne Namen", jeder kann mitmachen. Gegründet und geleitet aber wird sie vor allem von ehemaligen Funktionären der "Jungen Generation" der SPÖ, in der sich Nachwuchskader der Partei finden. Auch Kerns Sohn ist in der neuen Sektion aktiv.
Im Zentrum von Kerns Auftritt steht sein "Plan A" mit den bekannten Themen: Digitalisierung, Energiepolitik, Arbeitswelt und Neue Selbständige, Wachstum und Bildung. Zur wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich zitiert der Kanzler seine britische Amtskollegin Teresa May, Barack Obama und die Kennedy-Brüder. Die Partei will er öffnen und junge Menschen hereinholen, der steirische Landeshauptmannstellvertreter Michael Schickhofer soll hierzu eine Arbeitsgruppe leiten. Die folgenden Publikumsfragen zielen wie zufällig auf die einzelnen "Plan A"-Kapitel ab, konkrete Fragen nach Konzepten für Umverteilung oder Steuergerechtigkeit umschifft Kern. Seine Schlussbotschaft: moderne Gerechtigkeit und Chancen für alle, oder "die Rechtsrechten von vorgestern" kommen.
Einigung bis Freitag geplant
Es sind gekonnte Darbietungen wie diese, die der ÖVP sauer aufstoßen. Kern stelle Inszenierung vor die Arbeit, Neuwahlen lägen in der Luft, sagte Familienministerin Sophie Karmasin am Dienstag, der Kanzler solle das "taktische Gehabe" lassen, sagte ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Die SPÖ beklagt ihrerseits mangelndes Interesse der ÖVP an schnellen Lösungen hinsichtlich des neuen Regierungsprogramms, das man gemeinsam Ende Jänner oder Anfang Februar präsentieren will. Bis Freitag will nun Kern Ergebnisse sehen. Was am Dienstag wie ein Ultimatum aussah, ist für den ÖVP-Chef eine "ausgetreckte Hand", in die er einschlagen will.
Nach dem Fast-Koalitionskrach trafen sich am Mittwoch Kern, Mitterlehner, die Regierungskoordinatoren Thomas Drozda und Harald Mahrer, SPÖ-Klubchef Andreas Schieder und Finanzminister Hans Jörg Schelling zu einer Intensiv-Verhandlungsrunde. In einigen Punkten werde man sich sicherlich einigen, beteuerten beide Seiten. Am Nachmittag wurden die Gespräche auf den Abend vertagt. Der Tenor nach der Sitzung: Alles ist gut - keine Neuwahlen in Aussicht.
Am Abend nahm die Koaltion die Verhandlungen um ein Update des Regierungsprogramms und damit ihre eigene Zukunft wieder auf. Bei manchen Vorschlägen sei man durchaus offen. "Ich bin optimistisch", erklärte Mitterlehner kurz zuvor bei der Ö1-Diskussionssendung "Klartext mit FP-Chef Hans-Christian Strache. Wahlkampf habe es im Vorjahr genug gegeben, von der Regierung erwarte man sich, dass sie arbeite. Dem Vernehmen nach könnte es bis Freitag eine Einigung beim Thema flexible Arbeitszeiten geben, wo Kern gegenüber den ÖVP-Positionen ebenso Bereitschaft signalisierte wie beim Thema Sicherheit. Auch am Donnerstag soll verhandelt werden. Dass es zu einem Bruch kommen könnte, ist wegen der Angelobung Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten äußerst unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass am Freitag kein Papier präsentiert wird - und Neuwahlen damit unausweichlich werden.Wie auch immer eine Einigung aussehen wird, es ist offensichtlich: Die Koalition steht auf Messers Schneide. Dass rasche Neuwahlen im Interesse des Kanzlers sein könnten, davon sind auch einige Zuhörer bei Kerns Auftritt bei der "Sektion ohne Namen" überzeugt: "Er muss bald wählen lassen, er reibt sich sonst auf", "besser jetzt als in zwei Jahren", sagen zwei Kern-Anhänger. Steckt hinter der Fast-Eskalation vom Dienstag Kalkül?
Eher nicht, sagt der Politologe Peter Filzmaier: "Auch wenn es die Koalition schafft, ein gutes, überarbeitetes Programm vorzulegen, mit solchen Eskalationen ruiniert sie sich selbst den Effekt des gemeinsamen Erfolgs." Eine Flucht nach vorne wäre für Kern allerdings logisch, meint der Politologe. Aktuell habe der Kanzler gute Beliebtheitswerte, es sei unsicher, ob dies noch lange so bleiben würde. Dass die ÖVP Neuwahlen provoziere, sei unwahrscheinlich: "Das wäre das Ende von Mitterlehners Regierungskarriere." Es sei denn, Außenminister Sebastian Kurz entschließe sich, als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu ziehen. SPÖ und ÖVP aber würden versuchen, sich gegenseitig den Schwarzen Neuwahl-Peter zuzuschieben. Wie genau dies geschehe, werfe aber die Frage auf: "Ist das ein strategischer Plan, oder werkt man da eher herum?"
Pilz: "Nein" zu Fußfesseln
Ähnlich sieht es der Politikberater Thomas Hofer: "Eine besondere Strategie ist hier nicht zu erkennen. Die Dynamik kann man parteiintern schwer einschätzen." Wohl aber müsse Kern Druck auf die ÖVP aufbauen, er könne nicht zusehen, wie sich sein Effekt verbraucht. Das Hickhack vom Dienstag sei ein "Vorbauen für den Fall, dass es kracht - wer war schuld daran?" Den guten Werten des Kanzlers stünden jedoch die Krisen der SPÖ-Landesparteien, vor allem in Wien, entgegen.
Sollte am Freitag auch eine Einigung beim Thema Sicherheit kommen, so ist für den Grünen Peter Pilz jedenfalls klar: Als Mehrheitsbeschaffer für Maßnahmen wie Fußfesseln für islamistische Gefährder, wie dies Innenminister Wolfgang Sobotka möchte, stünden die Grünen "definitiv nicht" zur Verfügung.