Zum Hauptinhalt springen

Wahlkampf unter Waffengeklirr des großen Bruders in Peking

Von Hsin-Hsin Yang Taipeh

Politik

· In Taiwan sind am Samstag rund 14 Millionen Stimmberechtigte zur Wahl eines neuen Präsidenten aufgerufen · und China rasselt deshalb seit Wochen mit dem Säbel. Peking ließ nichts | unversucht, um den Wahlkampf zu beeinflussen: Bei der Sitzung des Nationalen Volkskongresses vergangene Woche forderten hochrangige Militärs, die Volksrepublik solle sich aktiv auf einen Krieg mit | Taiwan vorbereiten. In einem geharnischten Kommentar warnte die chinesische Militärzeitung die Inselbewohner davor, den Unabhängigkeitsbefürworter Chen Shiu-bian zum Präsidenten zu wählen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

China betrachtet Taiwan als eine abtrünnige Provinz, die es wieder mit dem Festland zu vereinen gilt.

Alle drei aussichtsreichsten Präsidentschaftsbewerber haben eine Verbesserung der Beziehungen zu China versprochen. Doch egal, wie sie dies erreichen wollen · ihre Vorstellungen widersprechen der

Pekinger Haltung. Taiwans Politiker sind zu Gesprächen bereit, doch nur auf gleichberechtigter Ebene. Für China ist das ausgeschlossen. Größter Dorn im Auge ist den Festland-Behörden der 49-jährige

Chen Shui-bian von der Demokratischen Fortschrittspartei DPP. Da er sich früher für die Unabhängigkeit ausgesprochen und eine Volksabstimmung zu dem Thema angekündigt hatte, warnten seine politischen

Gegner, im Falle von Chens Wahl drohe ein Krieg mit China.

Ebenfalls chancenreich im Rennen um die Präsidentschaft ist der frühere Gouverneur James Soong. Der frühere Generalsekretär der regierenden Volkspartei Kuomintang (KMT) tritt als unabhängiger

Kandidat an und kommt mit seinen Versprechen politischer Reformen und einer von Korruptionen freien Regierung bei den Wählern gut an.

Die KMT, die seit einem halben Jahrhundert das Staatsoberhaupt stellt, zittert um den Machterhalt. Die Bürger werfen dem bisherigen Präsidenten Lee Teng-hui vor, mit seinen Äußerungen, Taiwan führe

"zwischenstaatliche Beziehungen" zu China, den großen Bruder im vergangenen Jahr erst richtig auf die Barrikaden getrieben zu haben. Lee tritt nach insgesamt zwölfjähriger Amtszeit nicht wieder an,

KMT-Kandidat ist der bisherige Vizepräsident Lien Chan.

Abzuwarten bleibt, wie sehr die chinesischen Drohgebärden die taiwanesische Bevölkerung tatsächlich beeinflussen können. Bei der Präsidentschaftswahl vor vier Jahren · der ersten demokratischen in

Taiwans Geschichte · war China mit seinem Imponiergehabe so weit gegangen, militärische Übungen in den Gewässern vor der Insel abzuhalten. Lees Wahl konnte es damit nicht verhindern. Der größte Teil

der Taiwanesen ist mit dem Status Quo zufrieden.

Chinas Präsident Jiang Zemin äußerte sich dagegen Anfang des Monats optimistisch über eine "friedliche Wiedervereinigung" mit dem Inselstaat, der von den Vereinten Nationen nicht anerkannt wird.

Modell für diese Lösung ist die Übernahme Hongkongs und Macaos durch die Volksrepublik nach dem Motto "ein Land, zwei Systeme". In einem im Februar veröffentlichten Weißbuch hatte Peking mit Invasion

gedroht, sollte die taiwanische Regierung Gespräche über eine Wiedervereinigung nach ihren Bedingungen weiter verweigern.