Vor bisherigen Präsidentschaftswahlen hat Pastor Bub Huffaker seine politischen Rat auf die Aufforderung an die Gemeinde beschränkt, dem eigenen Gewissen zu folgen. In diesem Jahr ist alles anders: Am 20. September stand Huffaker vor 3.000 Anhängern von Präsident George W. Bush und machte Witze über dessen Herausforderer John Kerry. Dann betete der Pastor der Nazarener-Kirche von Grove City, Gott möge den politischen Führern Weisheit und Schutz angedeihen lassen.
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Zwar haben sich kirchliche Amtsträger und Politiker schon früher verbündet, doch in diesem Jahr erreicht die Einmischung des Klerus nach Ansicht von Beobachtern ein neues Niveau. "Wenn man all die Pfarrer und Priester bei den Wahlveranstaltungen beider Lager sieht, zeigt sich darin ein langer Trend der amerikanischen Geschichte", sagt Politikwissenschaftler Kenn Warren von der Universität Sant Louis. "Dieses Mal ist es allerdings besonders deutlich." Initiativen zur Kontrolle der Politik werfen den Klerikern inzwischen Parteinahme vor. Damit würden sie gegen Gesetze verstoßen, die nur neutralen Organisationen Steuerfreiheit gewährten.
In einem Vorort von Seattle organisiert Pastor Joseph Fuiten von der Kirche Gottes ehrenamtlich eine landesweite Kampagne, mit der die sozialkonservative Bevölkerung zur Wiederwahl Bushs bewegt werden soll. Fuiten ruft auch auf eigenen Web-Sites zur Wahl der Republikaner auf. Er achte sorgfältig darauf, dies nur mit seinem eigenen Geld zu finanzieren und keine Politik von der Kanzel zu betreiben, um nicht gegen Steuergesetze zu verstoßen, beteuert er.
Kerrys Wahlkampfmanager haben den Pfarrer David Keyes aus Missouri als Koordinator der religiösen Kampagne engagiert. Der Geistliche ist mit der Witwe eines einstigen Vietnam-Veteranen und Kerry-Freundes verheiratet. Er organisiert Gebetsabende in Missouri und anderen Staaten, um die Gläubigen zur Wahl des demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu bringen. "Natürlich könnte ich mich zurücklehnen und sagen, ich stehe als Geistlicher über der Politik. Aber das ist nicht das, was Jesus getan hätte." Der 59-Jährige predigt sowohl für die Unitarische Universalistische Kirche als auch für die Vereinte Kirche Christi, zwei eher liberale Denominationen.
Nach Ansicht von James Black, Pfarrer der katholischen St.-Peter-Gemeinde von Chillicothe, haben die Wahlkampfthemen die Kirchen wie nie zuvor mobilisiert: die Homosexuellen-Ehe, der Krieg, die Abtreibungs-Debatte. Black eröffnete einen Wahlkampfauftritt von Kerrys Mann fürs Vizepräsidentenamt, John Edwards, mit einem Gebet. Obwohl er keine Wahlempfehlung abgab, wurde er anschließend von einigen Gemeindemitgliedern kritisiert. Präsidentschaftsanwärter Kerry ist selbst Katholik. Er unterstützt das Recht auf Abtreibung. Einige amerikanische Bischöfe rieten deswegen von der Wahl des Demokraten ab.
"Moralische Werte" werden für 64 Prozent der Wähler den Ausschlag geben, fand das Meinungsforschungsinstitut Pew heraus. Gleichwohl kam bei der Umfrage zu Tage, dass die Bevölkerung eine klare Trennung von Kirche und Politik will. 65 der Befragten gaben an, Gemeinden sollten keine Kandidaten unterstützen.
Vor vier Jahren gewann Bush entscheidende Stimmen im Lager der weißen Wähler, die mindestens ein Mal pro Woche einen Gottesdienst besuchen: 15 Prozentpunkte lag er dort vor dem Demokraten Al Gore. In diesem Jahr haben Bushs Wahlkampfmanager diese Wählergruppe noch stärker umworben. "Doch auch Kerrys Leute locken Pfarrer sehr geschickt auf ihre Seite", sagt John Green von der Universität Akron. Am vorvergangenen Sonntag besuchte Kerry gleich zwei Gottesdienste in Florida.