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Wahlkampffinale in Italien unter der Gürtellinie

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

"Coglione" wird zum Reizwort vor dem Wahltag. | Berlusconi wollte noch ein Wahlduell erzwingen. | Wien/Rom. In den letzten Tagen vor den am kommenden Sonntag und Montag stattfindenden italienischen Parlamentswahlen ist der Wahlkampf im wahrsten Sinn des Wortes unter die Gürtellinie gerutscht. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Italiener solche "coglioni" sind, dass sie gegen ihre eigenen Interessen wählen, hatte Premierminister Silvio Berlusconi gemeint, nachdem er in einer Blitzaktion in seinem Schlusswort bei der TV-Diskussion mit seinem Herausforderer Romano Prodi am Montagabend die Abschaffung der Immobiliensteuer auf die erste Eigentumswohnung verkündet hatte. ("Coglioni" ist die Vulgärbezeichnung für Hoden und hat auch die Bedeutung von Vollidiot).


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Nachdem selbst seine Koalitionspartner sich von dieser Vulgärsprache distanziert hatten, meinte Berlusconi, er habe es ohnehin mit einem Lächeln auf den Lippen gesagt - das aber im TV-Video nicht zu sehen war.

Nachdem die Berlusconi-Gegner im ganzen Land mit Stickern und Plakaten sich als "coglioni" outeten, legte der Premier im Interview in der Nachrichtensendung des SKY-TV Donnerstagmorgen noch einmal nach: "Ich habe die Wähler der Linken nicht als "coglioni" bezeichnet, den wenn ich über sie sprechen würde, würde ich ganz, ganz andere Ausdrücke verwenden." Gleichzeitig gab er sich siegessicher, aber doch nicht ganz: "Ich werde gewinnen, aber wenn ich verliere, dann nur ganz knapp".

Appell des Premiers an die Katholiken

Berlusconi versucht in den letzten Tagen des Wahlkampfes jedenfalls mit allen Mitteln den Rückstand, den seine Regierungskoalition in den letzten veröffentlichten Umfragen hatte, doch noch aufzuholen. Bei einer Großveranstaltung in Rom am Mittwochabend forderte er die Katholiken auf, nicht für das Mitte-Linksbündnis zu stimmen, da dort Kräfte am Werk seien, die den Bischöfen und der katholischen Kirche einen Maulkorb verpassen wollen. Der vor kurzem geschasste Lega-Nord-Minister Roberto Calderoli legte noch ein Schäuferl nach: "Wer links wählt, begeht eine Todsünde."

Staatsanwälte im Visier Berlusconis

Donnerstagmittag waren dann wieder die Richter an der Reihe. Berlusconi warf den Staatsanwälten vor, sich gegen ihn verschworen zu haben und die Justiz für politische Zwecke zu missbrauchen und sprach wörtlich von "niederträchtigen Richtern". Der Premier dementierte, irgendetwas mit dem britischen Anwalt David Mills zu tun zu haben. Der inzwischen von seiner Frau getrennt lebende Ehemann der britischen Kulturministerin Tessa Jowell soll von Berlusconi 600.000 Dollar erhalten haben - als Gegenleistung für eine Aussage in einem Steuerverfahren gegen Berlusconis Firma Fininvest. Die Mailänder Staatsanwaltschaft strebt deswegen gegen Berlusconi ein Verfahren an. Berlusconi behauptete jetzt, dass Mills das Geld gar nicht von ihm, sondern von dem italienischen Reeder Diego Attanasio erhalten habe. Er kenne Mills gar nicht, sagte Berlusconi. Vor einigen Wochen hatte er noch behauptet, Mills habe gegenüber seinen Geschäftspartnern nicht zugeben wollen, welch gute Honorare er - Berlusconi- zahle und die 600.000 Dollar deshalb als Schweigegeld bezeichnet.

Noch mehr wurmt den Premierminister aber, dass sein Fernsehsender Rete 4 erst diese Woche von der Medienregulierungsbehörde eine Strafe von 250.000 Euro aufgebrummt bekommen hat, weil er die Wahlkampfregeln verletzt und Berlusconi zuviel Sendezeit für Wahlwerbung eingeräumt hatte. Berlusconi scheiterte auch mit seinem Versuch, kurzfristig noch ein TV-Duell mit seinem Herausforderer Romano Prodi in seinem Privatsender Canale 5 zu erzwingen. Prodi war dazu erst in allerletzter Minute alibihalber eingeladen worden. Selbst die Nachrichtenredaktion des Berlusconi-Senders war von den Schritt überrascht worden.

Politische Beobachter in Rom sprechen davon, dass Berlusconi mit diesem Schritt, den er mit seinem engsten vertrauten Fedele Confalonieri eingefädelt hatte, von der Aufregung rund um seinen "coglioni"-Sager ablenken wollte. Prodi, der noch verärgert über das Finale der TV-Debatte am Montag war, stieg nicht auf das Angebot ein. "Berlusconis gescheiterter Blitzauftritt im Fernsehen", titelten am Donnerstag mehrere Zeitungen. Berlusconi sah darin eine konkordierte Aktion und sprach davon, dass die Demokratie und die Unabhängigkeit der Zeitungen gescheitert sei.

Berlusconi-Herausforderer Romano Prodi meinte zu den jüngsten Aussagen des Premierministers, dass man die Religion aus dem Wahlkampf heraushalten solle. Zum Wahlkampfzuckerl Immobiliensteuer sagte Prodi, dass Berlusconi am Montag nach der TV-Debatte "wie ein Hase" geflüchtet sei, ohne zu sagen, wie er sein Wahlversprechen finanzieren will.

Der 66-jährige Prodi kündigte in einem Interview an, dass er sich nach fünfjähriger Amtszeit als Premier aus der Politik zurückziehen werde.