Zwischen Präsidenten- und Parlamentswahl sind die Polen auch noch zur Teilnahme an einem Referendum aufgerufen.
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Die Verfassung wird dieses Mal handgeschrieben sein. Wenn der künftige Staatspräsident Polens kommende Woche seinen Amtseid leistet, wird er seine Hand auf ein kalligrafisches Exemplar des Gesetzesbuches legen. Das Werk hat das Parlament bei einer Krakauer Künstlerin in Auftrag gegeben. Doch die Bedeutung des feierlichen Aktes am Donnerstag geht über solch symbolische Details hinaus. Der Wechsel im Amt des Präsidenten, von einem Vertreter der regierenden Bürgerplattform (PO) zu einem der nationalkonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), könnte nicht der einzige bleiben. So wie Andrzej Duda das scheidende Staatsoberhaupt Bronislaw Komorowski ablöst, möchte PiS-Politikerin Beata Szydlo Premierministerin Ewa Kopacz nachfolgen. Ginge es nach ihrer Partei würde die Fraktion von Jaroslaw Kaczynski schon im Herbst nach einer knappen Dekade PO-Herrschaft die höchsten Ämter unter sich aufteilen.
Denn der Termin für die Parlamentswahl ist nun fix. Am 25. Oktober sollen die Polen über die künftige Zusammensetzung des Sejm entscheiden. Ihre Kampagnen haben die Parteien bereits gestartet: Die sich im politischen Zentrum bewegende Bürgerplattform kämpft um den Erhalt der Regierungsmacht. PiS möchte diese erlangen. Und linke Fraktionen müssen überhaupt um ihren Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus bangen. Dazwischen tummeln sich Gruppierungen, die ihr Programm vor allem auf populistischen Forderungen aufbauen.
Eine davon betrifft den Umbau des politischen Systems. Und sie hat eine solche Karriere gemacht, dass sie es bis zu einem Referendum geschafft hat. So können die Polen auch zwischen Präsidentschafts- und Parlamentswahl ihre Stimme abgeben. Anfang September sollen sie drei Fragen beantworten: ob sie die Einführung des Mehrheitswahlrechts wünschen, ob sie die derzeitigen Regeln zur Finanzierung der politischen Parteien aufrecht erhalten wollen und ob sie das Steuerrecht um einen bestimmten Artikel ergänzt haben möchten.
Die Debatte um das Wahlsystem hat zuletzt ein Mann entfacht, der Jahre lang auf der Musik- und erst seit kurzem auf der Polit-Bühne zu sehen war. Der als Systemkritiker auftretende Pawel Kukiz hat ebenfalls bei der Präsidentenwahl im Mai kandidiert - und gleich ein Fünftel aller Stimmen gewinnen können, wovon ein großer Teil von Unter-30-Jährigen kam. Seine Hauptforderung betraf eben die Einführung des Mehrheitswahlrechts, wie in Großbritannien oder den USA praktiziert. Der Erfolg des ehemaligen Rockmusikers beim Urnengang veranlasste die größten Parteien im Sejm dazu, ihre Sympathie für dieses Wahlsystem ebenfalls zu entdecken und das Volk zu befragen. Bisher gilt in Polen, ähnlich wie in Österreich und etlichen anderen EU-Staaten, das Verhältniswahlrecht.
Möglicherweise bleibt es auch dabei. Denn Volksabstimmungen haben in Polen keine starke Tradition. Und sie wecken kein überwältigendes Interesse. In den letzten 25 Jahren wurden die Bürger drei Mal aufgefordert, ihre Meinung kundzutun. Dass sich dabei mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zu den Urnen bemühte, was den Entscheid erst bindend macht, passierte nur einmal: beim Referendum über den EU-Beitritt.