Für Regierungspartei rückt auch Amt des Staatsoberhaupts in Griffweite.
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Sofia. Vier Tage Papierkrieg mit mangelhaften oder fehlenden Wahlprotokollen hatte die Zentrale Wahlkommission zu führen, bevor sie am Donnerstagnachmittag das offizielle Endergebnis der bulgarischen Präsidentschafts- und Kommunalwahlen verkünden konnte: Rossen Plewneliew (GERB) und Iwajlo Kalfin (BSP) stellen sich am Sonntag der Stichwahl um das Amt des Staatsoberhaupts. Jordanka Fandukowa (GERB) wurde mit rund 53 Prozent im ersten Wahlgang als Bürgermeisterin Sofias bestätigt. In 173 Städten und 831 Dörfern werden die Bürgermeister und Ortsvorsteher ebenfalls am Sonntag in einer Stichwahl ermittelt.
Inhaltliche Debatten zwischen politischen Konkurrenten waren in dieser Woche nebensächlich, stattdessen ging es um ein Thema: Sind beim ersten Wahlgang am 23. Oktober lässliche Verfahrensfehler passiert oder stellen die vielen Unregelmäßigkeiten die Rechtmäßigkeit des Votums überhaupt in Frage? "Erst habe ich lange in der Schlange gewartet, und als ich dann an der Reihe war, sagte mir die Dame im Wahllokal, ich könne zwar für die Präsidentschaftswahl, nicht aber über den Bürgermeister abstimmen", erzählt die Sofioterin Wanja Janakiewa. Als sie nach dem Grund fragte, wurde ihr geraten, "sich an die Stadtverwaltung zu wenden".
Wie Wanja Janakiewa erging es vielen Wahlberechtigten. Insgesamt waren Namen von 400.000 Menschen auf einer sogenannten Verbotsliste verzeichnet, viele nur deshalb, weil sie vor Jahren einmal im Ausland gelebt hatten. Darüber, dass die "Verbotsliste" viele Bürger unrechtmäßig um ihr Recht der Stimmabgabe bei der Bürgermeisterwahl gebracht hat, besteht inzwischen Einigkeit. Wer aber dafür die Verantwortung trage, darüber stritten sich in dieser Woche die Behörden. Ein "Zug der geklauten Stimmen" soll nun am Samstag durch Sofias Innenstadt vor den Sitz der Wahlkommission ziehen.
Ruf nach neuer Auszählung
"Das Vernünftigste wäre, ein Gericht würde Neuwahlen anordnen", meint Rumen Owtscharow, der Vorsitzende der hauptstädtischen Sozialisten. Wahlprotokolle aus 37 Sofioter Wahllokalen seien verschwunden, behauptet er. Eine Anfechtung der Ergebnisse in der Balkanstadt Swoge hat der Parteiführer der rechtsgerichteten Union Demokratischer Kräfte (SDS), Martin Dimitrow, angekündigt.
Und selbst die Regierungspartei GERB scheint nicht völlig von der Plausibilität der Wahlergebnisse überzeugt: Sie will die Stimmen in der überwiegend von bulgarischen Türken bewohnten Stadt Kardschali neu auszählen lassen. Sollten die Gerichte den angekündigten Anfechtungen stattgeben, könnten sich die Verhältnisse nach der Kommunalwahl 2003 wiederholen - viele Gemeinden blieben damals länger als ein Jahr ohne gewählten Bürgermeister.
Der GERB-Kandidat Rossen Plewneliew hat einen vermeintlich komfortablen Vorsprung von elf Prozent vor seinem sozialistischen Konkurrenten Iwajlo Kalfin. Dennoch scheint die Wahl nicht gelaufen; schwer vorhersehbar ist, wie sich der Unmut der Bürger über die Wahlpannen auf ihr Wahlverhalten auswirken wird und wie die Sympathisanten der unterlegenen Präsidentschaftskandidaten stimmen werden. Ahmed Dogan, ebenso umstrittener wie einflussreicher Führer der Partei der bulgarischen Türken, Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), hat seine Gefolgsleute aufgerufen, für Kalfin zu stimmen.
"Die Wahl am Sonntag ist zwischen Dogan und Borissow", hat Ministerpräsident Bojko Borissow am Freitag im Frühstücksfernsehen von Nova TV darauf entgegnet. Bewusst oder unbewusst verstärkte er damit einen Verdacht: dass Rossen Plewneliew lediglich ein Platzhalter für den Premier selbst und dessen künftige Ambitionen sei.