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Wahlrealitäten in Bosnien und Herzegowina

Von Valentin Inzko

Gastkommentare

Der bisherige Wahlkampf ist voller unverantwortlicher Rhetorik und Nationalismus.


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Am 7. Oktober werden die Menschen in Bosnien und Herzegowina zu den Urnen schreiten. Der bisherige Wahlkampf muss jedoch als enttäuschend erachtet werden, da praktisch keine Diskussionen und Debatten über Themen des täglichen Lebens, die die Bürger des Landes am meisten betreffen, wie beispielsweise Wirtschaft und Rechtsstaatlichkeit, geführt worden sind. Viele politische Parteien, insbesondere die größte in Bosniens Republika Srpska, führen ihre nationalistische und spaltende Rhetorik fort, um so Wähler zu gewinnen.

Besorgniserregend ist jedoch nicht allein die unverantwortliche Rhetorik, sondern auch die anhaltenden von Nationalismus getriebenen politischen Strategien so mancher Politiker. Diejenigen von uns, die sich an die 1990er erinnern, entsinnen sich zweifellos noch der Zerstörung, die derartiger Nationalismus für den Balkan bedeutet hat, insbesondere für Bosnien und Herzegowina.

Wir erinnern uns noch an den Ansturm von Menschen auf der Flucht vor Gräueltaten und auf der Suche nach Sicherheit, besonders in nahegelegenen Ländern, so auch in Österreich. Sollten im Lande von Nationalisten erneut politische Spannungen erzeugt werden, wären die Herausforderungen für Europa, angesichts der bereits bestehenden Flüchtlingskrise, kaum vorhersehbar.

Nationalisten: weder Patrioten noch verlässliche Partner

Aktuell streben einige nationalistische Politiker danach, die seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton im Jahr 1995 bereits erreichten Reformen zu untergraben. Damit arbeiten sie nicht nur gegen die Interessen der Bürger Bosniens und Herzegowinas, sondern auch gegen die Interessen einiger europäische Länder, die hoffen, dass sich das Land sowie die Region effizienter mit den gegenwärtigen Schwierigkeiten, wie etwa illegaler Migration, grenzüberschreitender organisierter Kriminalität etc., auseinandersetzen wird. Mit anderen Worten: Nationalisten am Balkan sind weder Patrioten, noch können sie als verlässliche Partner zur Verbesserung der Lage der Region und unseres Kontinents betrachtet werden. Denn sie arbeiten gegen uns.

Vor allem hat die Politik des Nationalismus und der Spaltung vielen Bürgern von Bosnien und Herzegowina geschadet. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten weiterhin dieselben Parteien wählen werden, die das Land in einigen Bereichen zum Stillstand gebracht haben, verlassen viele, vor allem junge Leute das Land. Etwa 20.000 pro Jahr. Denn sie haben die Hoffnung aufgegeben, dass sich die Dinge in Bosnien und Herzegowina in absehbarer Zeit zum Besseren wenden werden. Es fehlen ihnen politische Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, Berufsaussichten, eine funktionierende Infrastruktur, ein qualitatives Gesundheitssystem und viele andere Dinge, die wir Europäer oftmals als selbstverständlich erachten.

Politiker drücken sichvor ihrer Verantwortung

Offensichtlich drücken sich die Politiker weitgehend vor der Verantwortung hinsichtlich der Abwanderung der besten und klügsten Köpfe des Landes. Doch es ist klar, dass jene, die das Land daran hindern, besser zu funktionieren, und sich dabei hinter nationalistischer Rhetorik verstecken, die Schuld dafür tragen.

Seit Beginn des Wahlkampfes habe ich die Bürger aufgefordert, ihr demokratisches Recht auszuüben und wählen zu gehen. Ich habe angeregt, die wahren Themen, die ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder betreffen, anzusprechen, bevor sie am 7. Oktober ihre Stimme abgeben. Und die Bürger von Bosnien und Herzegowina, die im Ausland leben, möchte ich fragen: Was hat Sie veranlasst, das Land zu verlassen? Und was müsste sich ändern, um Sie zur Rückkehr zu bewegen?

Ich hoffe von Herzen, dass sich jeder Bürger, zuhause und im Ausland, ernsthaft der Konsequenzen seiner Wahl bewusst ist und seine Stimme für eine positivere Zukunft, eine Zukunft eines blühenden, stabilen und einfach "normalen" Bosnien und Herzegowina abgibt.