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Wahlrechtsreform: Wann, wenn nicht jetzt?

Von Herbert Kohlmaier

Gastkommentare

Am 9. Oktober findet im Parlament ein Symposium zum Thema Wahlrechtsreform statt. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein. Jetzt, nach dieser unglückseligen Wahl, erweist es sich ja wieder, dass Parteien, die ganz verschiedene Standpunkte haben und nach der Macht streben, kaum den gemeinsamen Weg zum Gemeinwohl finden. Sagen wir es ganz offen: Jene Demokratie, die sich lange bewährt hat und nach Churchill trotz ihrer Schwäche allen anderen Staatsformen überlegen ist, bedarf der Weiterentwicklung, soll sie nicht in Gefahr geraten.


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Immer stärker und unüberhörbarer wird der Ruf nach einem neuen Wahlsystem, das klare Mehrheiten schaffen kann. Die Zeit ist dafür reif. Doch es ist wie immer im Leben. Alles, was man wagen will, findet auch seine Einwände. Am meisten wird dabei betont, dass in einem Mehrheitswahlsystem die kleineren Parteien keine Chance hätten, im Parlament vertreten zu sein. Sie wären aber für die Demokratie wichtig. Der Nationalrat sollte doch ein Abbild des politischen Spektrums und der Meinung des Volkes sein.

Das hat natürlich viel für sich und war ja auch der Grund, warum unsere Verfassung das Verhältniswahlrecht vorschreibt. Aber die Dinge sind nun neu zu betrachten, gerade nach dem 28. September. Nicht nur in unserem Land ist die Zeit der Großparteien und ihrer alles erdrückenden Wählermassen vorbei.

Nicht mehr Weltanschauungen und Machtblöcke ringen miteinander. Die Menschen beurteilen Personen, die um Zustimmung werben, und entscheiden ohne politische Farbenlehre. Die Parteien sind ihnen Wurst - und die verdienen auch nichts Anderes nach dem, was sie angerichtet haben.

Nehmen wir an, in Österreich würden 100 Wahlkreise gebildet, wo sich jeweils ein Mann oder eine Frau den Bürgern zu stellen und um deren Vertrauen zu bitten hätte. Das mit Mehrheit errungene Mandat bedeutete dann, die Menschen dieses Bereichs im Hohen Haus zu vertreten. Kein Zweifel: Das BZÖ erhielte so seinen Platz von den Kärntnern, die Freiheitlichen könnten in den Wiener Arbeiterbezirken reüssieren und die Grünen innerhalb des Gürtels, wo sie schon zwei Bezirksvorsteher stellen.

Dieses System einer demokratischen Erneuerung und Festigung könnte ähnlich wie in Deutschland mit einer Zweitstimme verbunden sein. Dafür würde sich eine nach Bundesländern ausgerichtete Parteienwahl in die zweite Kammer anbieten. Dieser könnte man mehr Rechte geben und so die Schaffung eines arbeitsfähigen Nationalrats mit der ebenfalls überfälligen Aufwertung des Bundesrates verbinden. Varianten gäbe es genug. Man lasse nur endlich jene Wähler, die angeblich so gewissenhaft vertreten werden, über ein neues Wahlrecht entscheiden. Und gebe vorher jenen Macht-Egoismus auf, der unsere Demokratie zu ruinieren bereits begonnen hat.

Herbert Kohlmaier war führender Politiker der ÖVP mit dem Spezialgebiet Sozialpolitik. Zuletzt wirkte er als Volksanwalt.

"Immer stärker und unüberhörbarer wird der Ruf nach einem neuen Wahlsystem, das klare Mehrheiten schaffen kann."

gastkommentar@wienerzeitung.at