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Gert Wilders’ PVV könnte stärkste niederländische Partei werden. Dem Rechtspopulisten fehlen potenzielle Koalitionspartner.
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Amsterdam. In knapp drei Wochen, am 15. März, richten sich in Europa die Blicke auf die Niederlande: Die Wahlen zum Zweite Kammer genannten Parlament in Den Haag bilden den Auftakt zu einem vermeintlichen Schicksalsjahr für die EU. Ausgerechnet das Land, in dem mit Pim Fortuyn vor 15 Jahren einer der Väter des Rechtspopulismus einen steilen Aufstieg hinlegte, könnte wichtige Hinweise auf die späteren Urnengänge in Frankreich und Deutschland liefern: Werden, um in der Rhetorik der flutgefährdeten Niederlande zu bleiben, die Deiche dem Ansturm der migrations- und europafeindlichen Partij voor de Vrijheid (PVV) auf die Macht standhalten?
PVV-Chef Geert Wilders lässt seit Monaten keinen Zweifel daran, dass er Premier werden will. Und die Umfragen berechtigen ihn durchaus zu diesem Anspruch. Seit mehr als einem Jahr liegt die Partei, die 2006 erstmals bei Parlamentswahlen antrat, fast ununterbrochen vorne; meist, so wie aktuell, mit einem komfortablen Vorsprung vor der marktliberalen VVD von Premier Mark Rutte: 34 von 150 Sitzen fallen laut Umfrage auf die PVV, gegenüber 23 für die Regierungspartei.
Der Aufstieg der PVV, die längst über das Stadium einer schnelllebigen Ein-Thema-Protestpartei hinaus ist und bereits mehrere elektorale Rückschläge überstanden hat, belegt die Krise der etablierten politischen Kräfte in Den Haag. Besonders trifft das die Sozialdemokraten (PvdA). Der Regierungspartner Ruttes stürzt in Umfragen von 38 auf 10 Mandate ab. Aber auch in der Partei des Premiers rumort es. Justizminister Ard van der Steur musste am Donnerstag zurücktreten; ihm warf das Parlament vor, über einen Deal der Justiz mit einem Kriminellen gelogen zu haben.
Sollte Wilders gewinnen, steht er jedoch vor dem Problem der Regierungsbildung. Premier Rutte, dessen Minderheitsregierung 2012 scheiterte, als Wilders ihr die Unterstützung entzog, hat der PVV eine Absage erteilt. Ohnehin müssten sich die Rechtspopulisten in einer Koalition von einem Teil ihrer Pläne verabschieden: Die Schließung der Grenzen für Asylsuchende und Bürger muslimischer Länder ist mit eventuellen Partnern ebenso wenig durchsetzbar wie der Plan, bereits erteilte vorübergehende Aufenthaltserlaubnisse von Asylwerbern aufzuheben.
Sozialpolitisch immer linker
Gleiches gilt für das anvisierte Koranverbot und die Schließung von Moscheen und islamischen Schulen. Auffällig ist, dass die PVV eine immer sozialere Agenda propagiert. So will Wilders die Erhöhung des Pensionsalters ebenso rückgängig machen wie die Einschnitte der aktuellen Regierung im Pflege- und Altenbereich, die Mieten senken und die obligatorische Eigenbeteiligung an der Krankenversicherung abschaffen.
Neben Wilders’ Stärke sind sie zahlreichen Gründungen neuer Parteien ein deutliches Symptom für die Krise des politischen Systems. Bereits jetzt sind 13 Parteien in der Zweiten Kammer vertreten. Die niedrige Eintrittshürde von 0,6 Prozent macht es möglich. Kurz vor Jahresende gab der organisierende Wahl-Rat bekannt, dass sich 81 Parteien registriert haben - ein neuer Rekord. Bis Ende Jänner läuft die Registrierung, weitere Gruppierungen könnten also noch hinzukommen.
Unter den Neuzugängen befindet sich Voor Nederland (VNL), die Wilders’ Partei Konkurrenz macht. 2014 von zwei PVV-Dissidenten gegründet, positioniert man sich just zwischen dieser und der regierenden VVD - mit harter Einwanderungspolitik nach australischem Vorbild und "Nexit"-Referendum -, allerdings ökonomisch deutlich liberaler als die PVV. Spitzenkandidat ist der ehemalige Journalist Jan Roos, 2016 einer der Protagonisten, die mit einer Unterschriftenkampagne das Referendum zum EU-Ukraine-Vertrag möglich machten - den die Niederländer ablehnten.
Hoffen auf den "Nexit"
Ein weiterer EU-Kritiker dieser Kampagne ist Thierry Baudet, ein junger Intellektueller, der mit seinem konservativen Thinktank "Forum voor Democratie" (FvD) nun ebenfalls auf dem Wahlzettel steht. Man setzt auf die Renationalisierung politischer Befugnisse aus Brüssel, Nexit-Abstimmung sowie bindende Referenden wie in der Schweiz. Auch FvD plädiert für strengere Asyl- und Einwanderungspolitik, daneben Unterrichtsreform, Digitalisierung und Innovation, um aus den Niederlanden ein "Silicon Valley von Europa" zu machen.
Von den jüngsten Debatten um Europa und Integration geprägt ist auch das Programm der Partei "Neue Wege". Erst im November vom ehemaligen Sozialdemokraten Jacques Monasch gegründet, will man die EU deutlich verkleinern und verbindliche Volksabstimmungen einführen. Daneben sollen weniger Flüchtlinge aufgenommen werden, diese allerdings unter besseren Umständen. Um in den Niederlanden bleiben zu können, müssen "echte Flüchtlinge" den ersten Artikel der Verfassung (Gleichheitsparagraph) unterzeichnen. Weiters will man Bildung und Pflege verbessern und die Eigenbeteiligung an der Krankenversicherung abschaffen.
Zwei weitere ehemalige Sozialdemokraten bilden die bisher bekannteste, aber auch umstrittenste neue Partei: Tunahan Kuzu und Selçuk Öztürk, deren selbsterklärte "Bewegung" Denk sich als Partei "aller Niederländer" versteht. Im Ausland vielfach als "Europas erste Migrantenpartei" bezeichnet, präsentiert Denk einerseits eine dezidiert antirassistische Agenda, fällt allerdings auch durch latente Nähe zur AKP des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf. Die frühere TV-Moderatorin Sylvana Simons, zwischenzeitlich als Gesicht der Anti-Diskriminierungs-Agenda ins Boot geholt, hat Denk zum Jahreswechsel verlassen und tritt nun mit ihrer eigenen Partei "Artikel 1" an.
Für alle neuen Parteien geht es zunächst darum, überhaupt in die Zweite Kammer einzuziehen. In der zerklüfteten Parteienlandschaft der Niederlande kann auch eine kleine Fraktion wichtig werden, zumal höchstwahrscheinlich ohnehin mindestens drei Parteien für eine Mehrheit nötig sein werden. Ein gewichtiges Wort mitreden könnten dabei drei Parteien, die sich nach überwundenen Krisen konsolidiert haben und jeweils um 15 Mandate liegen könnten: die Christdemokraten, Linksgrünen sowie die liberalen Democraten66.