Favoritin ist die Kandidatin der Mitte-LinksRegierung. | Pinochets Wahlsystem hält vor allem die jungen Wähler fern. | Santiago. "Ich weiß schon lange, wen ich wählen werde. Noch bevor die Kandidaten überhaupt fest standen, wusste ich, dass es Michelle Bachelet werden muss", sagt die Lehrerin Laura Suarez aus Santiago de Chile vehement.
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Am Sonntag wählt Chile einen neuen Präsidenten sowie 120 Abgeordnete und die Hälfte des Senats. Die Sozialistin Michelle Bachelet liegt, seit sie sich im Sommer als Kandidatin präsentierte, vorne, auch wenn jetzt, kurz vor der Wahl, Umfragen ihren Zieleinlauf in der erster Runde in Frage stellen.
"Das letzte Wort wird am Wahlsonntag gesprochen", meint die Präsidentschaftskandidatin auf Spekulationen. Die 54-jährige ehemalige Verteidigungsministerin ist die Kandidatin der Mitte-Links-Regierung der Concertación und tritt gegen drei weitere Kandidaten für das höchste Amt in Chile an.
Der traditionell stärkste Gegner der Regierung, die rechte Koalition Alianza, hat sich geteilt.
Hier ringen der ultrarechte Ex-Bürgermeister von Santiago, Joaquín Lavín (Unabhängigen Demokratischen Union, UDI) sowie der Unternehmer Sebastián Piñera (Nationale Erneuerung, RN) getrennt um die Wählergunst. Damit wurde die seit Jahrzehnten bestehende Teilung Chiles in ein rechtes und ein linkes Lager erstmalig aufgehoben.
Drei Gegenkandidaten
Als vierter Kandidat tritt Tomás Hirsch an, für das Bündnis "Juntos podemos" (Gemeinsam können wir) aus Kommunisten, Humanisten und Grünen.
Mit Bachelet als Präsidentin gäbe es zum vierten Mal in Folge seit dem Ende der Diktatur 1990 eine Concertacións-Regierung. Dass sie dafür schon am Sonntag mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, ist unwahrscheinlich. Stärkster Gegner ist der Millionär Piñera. Ob das rechte Lager sich in einer zweiten Runde gegenseitig stützen wird, ist offen.
Unabhängig jedoch vom endgültigen Wahlergebnis zeugt allein der Erfolg von Michelle Bachelet in den Umfrageergebnissen von einem langsamen Umdenken in der chilenischen Gesellschaft. Als vor vier Jahren ihr Kollege Ricardo Lagos gewählt wurde, war der Amtsantritt eines Sozialisten noch ein Skandal.
Chile war und ist noch immer stark im Erbe der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973 bis 1990) verhaftet. Der Ex-General ist zwar mittlerweile völlig diskreditiert. Er steht wegen zwei Prozessen unter Hausarrest. Der 90-Jährige wurde wegen Steuerhinterziehung und Betrug in Millionenhöhe im Fall der sogenannten Riggs-Bank-Konten sowie des Mordes im Rahmen der Operation Colombo, bei der 119 Oppositionelle getötet wurden, angeklagt. Weitere Verfahren wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Betrug werden zur Zeit geprüft.
Verfassung Pinochets
Doch die politischen Strukturen, festgeschrieben in Pinochets Verfassung von 1980, beherrschen noch immer das Land und auch diese Wahl. Das Umdenken geht vielen Chilenen zu langsam. Sie resignieren.
"Solange wir noch immer mit der Verfassung von Pinochet leben, kann von Demokratie keine Rede sein. Und zur Wahl zwingen lasse ich mich nicht", sagt der Medizinstudent Juan Herrera verbittert. Er gehört mit dieser Haltung zu knapp Dreiviertel aller jungen Wahlberechtigten, die sich der Wahl mit einem Trick entziehen. Sie lassen sich nicht wie vorgeschrieben registrieren und unterliegen damit auch nicht der Wahlpflicht, deren Nichtbefolgung mit einer Geldstrafe geahndet werden kann.
Die jungen Leute schreckt das noch immer geltende binominale Wahlsystem ab. Das Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht war einst dazu gedacht, den Rechten eine Mehrheit in der Legislative zu garantieren und kleinen Parteien keine Chance zu lassen. Denn nur zwei Kandidaten pro Wahlkreis ziehen ins Parlament ein. Dabei zählt nicht, wie viel Prozent für den zweiten Kandidaten überhaupt gestimmt haben, sondern nur, dass er zweiter wurde.
"Mit diesem System ist doch sowieso egal, wer gewählt wird", erklärt Herrera den Grund seiner Ablehnung der Spielregeln.