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Wie die Alternative für Deutschland unter bürgerlichem Mantel Fakten und Ressentiments mischt.
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Friedrichshafen. Es sind Alte und Junge, die sich einfinden, Männer und Frauen. Der Anwalt im grauen Anzug nimmt ebenso Platz wie ein Mann im schwarzen Lonsdale-Pullover, einer in weit rechten Kreisen gern getragenen Marke. 250 Personen füllen an einem verschneiten Montag Ende Februar einen Saal im Friedrichshafener Graf-Zeppelin-Haus. Sie sind gekommen, um Jörg Meuthen zu hören, Spitzenkandidat der Alternative für Deutschland (AfD) bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am Sonntag. "Damit Baden-Württemberg Heimat bleibt", steht auf einem Plakat. Es zielt gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel und die vermeintlich drohende Islamisierung Deutschlands.
Für die AfD ist Baden-Württemberg ein dankbarer Boden, das gilt auch für Friedrichshafen, das zum Landtagswahlkreis Bodensee gehört. Die 60.000-Einwohner Stadt ist kein schmucker Bodensee-Ferienort wie etwa Konstanz, Gewerbe und Industrie dominieren. Der Technologieriese ZF hat hier seinen Firmensitz, Airbus entwickelt und fertigt für Raumfahrt und Militär. Auch studentisches Publikum ist eher rar. Umfragen sagen der erst 2013 gegründeten AfD 12,5 Prozent bei der Landtagswahl voraus. Neben Kritik an Euro- und Flüchtlingspolitik stellt sie sich immer breiter auf, vom Freihandelsabkommen TTIP bis zur Genderforschung reicht nun die Gegnerschaft.
Im Bodenseekreis kämpft Alice Weidel um ein Landtagsmandat. Die 37-jährige Volks- und Betriebswirtin ist die Vorrednerin von Meuthen in Friedrichshafen. Die Rollen sind klar verteilt: Weidel gibt die Einpeitscherin à la Co-Parteichefin Frauke Petry. Meuthen, der zweite Vorsitzende der Bundespartei, ist das Angebot an die Moderateren.
"Die innere Sicherheit ist gefährdet. Es ist 12, nicht 5 vor 12", warnt Weidel, betont langsam und akzentuiert. Straftaten würden nur noch verwaltet. Es ist eine typische AfD-Aussage, eine Mischung aus Wahrheit und Frechheit. Tatsächlich ist die Zahl der Straftaten in den vergangenen Jahren rasant gestiegen: Wurden 2005 noch 6937 Wohnungseinbrüche in Baden-Württemberg erfasst, waren es 13.483 im Jahr 2014. Weidel verknüpft diese Fakten mit "Einbrechern osteuropäischer Herkunft". Für sie brauche es abschreckende Strafen, keine freundlichen Bitten, das Land zu verlassen. Applaus brandet im Saal auf.
Bessergestellte Flüchtlinge
Um die Zahl der Wohnungseinbrüche zu reduzieren, haben Baden-Württemberg und Bayern 2015 ein gemeinsames Programm vorgelegt. "Erschreckend" fand Baden-Württembergs Innenminister, dass wesentlich mehr Georgier und Rumänen als früher Delikte verübt haben. Den "Mythos" vom osteuropäischen Bandeneinbrecher habe aber noch keine Studie belegt, sagt Frank Kawelovski, Kriminalhauptkommissar und Lehrender an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen laut der "Welt". "Jung, männlich und drogenabhängig" sei auch weiterhin der typische Einbrecher laut Thomas Feltes, Kriminologie-Professor an der Ruhr-Universität Bochum.
Als Nächstes knöpft sich Weidel die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel vor. So berichtet die AfD-Kandidatin, Ärzte in Einrichtungen von Flüchtlingen würden besser entlohnt als Hausärzte. Eine kurze Pause folgt: "Ich möchte das nicht weiter kommentieren." Die Botschaft versteht jeder: Flüchtlinge sind bessergestellt als Deutsche.
Einen konkreten Fall nennt Weidel nicht. Ende Dezember wurde allerdings bekannt, dass Ärzte für Sprechstunden in zwei rheinland-pfälzischen Erstaufnahmeeinrichtungen den Höchstsatz von 200 Euro pro Stunde erhalten. Dabei handelt es sich jedoch um Einzelfälle, in anderen Erstaufnahmeeinrichtungen werden 60 Euro gezahlt. Im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst seien 50 Euro, im klinischen Facharztdienst 75 bis 80 Euro üblich, so Peter Enders, Arzt und Landtagsabgeordneter der CDU in Rheinland-Pfalz. Die Regelungen sind sehr komplex, variieren je nach Status des Flüchtlings und sind regional unterschiedlich.
Auch ein Verweis auf die Vorfälle zu Silvester in Köln fehlt nicht: "Die Polizei kann die arabische Sexmobkultur nicht in den Griff bekommen", unkt Weidel. Für die AfD gibt es eine Lösung: Grenzen dicht. Dass Parteichefin Petry und andere führende Politiker einen Schießbefehl auf Flüchtlinge an den Grenzen nicht ausgeschlossen haben, bleibt in Friedrichshafen ausgespart, zu groß war die öffentliche Kritik.
Weidels Part ist damit erledigt, sie versorgt das rechtspopulistische Wählersegment in Baden-Württemberg. So erzielten die "Republikaner" 10,9 beziehungsweise 9,1 Prozent bei den Landtagswahlen 1992 und 1996.
Wer mehr will, braucht Verbindungsfiguren zur CDU. Jörg Meuthen ist so eine: "Ich bin kein Hetzer, kein Hassprediger. Ich bin fünffacher Familienvater und Rassist dreimal nicht", betont er energisch, während er sich sonst betont ruhig gibt. Der 54-Jährige ist der neue Bernd Lucke: Wie der einstige AfD-Gründer, der die Partei nach dem verlorenen Richtungsstreit gegen Frauke Petry verlassen hat, verfügt Meuthen über professoralen Habitus. Er lehrt Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Hochschule Kehl. In Friedrichshafen verliert er sich in "Potenzialanalysen". Er legt seine Uhr demonstrativ auf das Pult, macht sich darüber lustig, dass Politiker gerne in ihren Reden überziehen - und tut es selbst um 15 Minuten.
Alleine gegen "Kartellparteien"
Das Publikum ist nachsichtig, denn Meuthen spielt seine beste Karte aus: den "sozialdemokratisierten Einheitsbrei" der anderen Parteien. Dass die CDU unter Merkel so weit in die Mitte gerückt ist, passt hier vielen nicht. Meuthen scheut sich nicht, die AfD als rechtskonservativ zu bezeichnen, sieht in ihr ein Gegengewicht zum "allgegenwärtigen, kontrollierenden, erziehenden Staat". Er bohrt kräftig in den Wunden der konservativen Union, erinnert an die ständigen Querschüsse von Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer gegen Merkels Haltung in der Flüchtlingsfrage. In der Berliner Regierung bleibt die CSU dennoch.
Der einsame Renegat AfD gegen die "Kartellparteien", das passt gut zum Opferstatus, den sich die Partei gibt. Meuthen beklagt den "Verlust von Anstand, Fairness und Niveau" in der Auseinandersetzung mit der AfD.
Nach der Veranstaltung wollen AfD-Gegner mit den Zuhörern ins Gespräch kommen. Auch mehrere Flüchtlinge stehen in der Kälte und warten. Einer von ihnen ist Ahmed, 24, aus Bagdad. Er sei vor vier Monaten alleine in Deutschland angekommen, berichtet ein Herr, der mit ihm in einem "Café der Begegnung" ins Gespräch kam. Friedrichshafener sollen dort Gelegenheit bekommen, ihre Ängste abzubauen. Eine weitere Gruppe empfängt die AfD-Sympathisanten mit einem Transparent: "Unsere deutsche Leitkultur - Mitmenschlichkeit", haben sie auf ein Leintuch gepinselt.